Im Zürcher Regierungsrat hat sich der $VP-/FDP-Betonblock nicht verändert – es ist zu hoffen, dass die Ablösung des besonders in der Ausländerpolitik sehr $VP-affinen CVPlers Hans Hollenstein durch den Grünen Martin Graf (herzliche Gratulation! 🙂 ) zu neuen Akzenten in der Sozial- und Umweltpolitik führt.
Eine sichtbare Verminderung des $VP-Anteils im Kantonsrat (zum Glück wieder unter 30 %), eine Zunahme bei den – wie die Stadtzürcher Budgetdebatte 2011 gezeigt hat – sehr bürgerlichen, sehr $VP- und FDP-nahen Überrealo-Grünliberalen, und eine eigentliche Erosion bei den Parteien, die sich selber als Mitte oder mit einem moderaten Bezug zu kirchlichen Kreisen bezeichnen, eine erstaunliche Stabilität bei SP und Grünen, dies sind kurz zusammengefasst die wahrnehmbaren Ergebnisse der Kantonsratswahlen. Waren die Grünen die Nach-Tschernobyl-Partei, so sind offenbar Grünliberale und in einem gewissen Sinn die BDP die Nach-Fukushima-Parteien.
Der neue Kantonsrat wird, analog zum Zürcher Gemeinderat, etwas mehr Farbtupfer aufweisen als der bisherige Rat. Wie in der Stadtzürcher Politiklandschaft hat die Exekutivenmehrheit (hier von $VP und FDP) keine direkte Mehrheit mehr in der Legislative. Weil es bereits im Zürcher Gemeinderat funktioniert hat, dürfte insbesondere die $VP versuchen, über sittenwidrige Instruktionen an ParlamentarierInnen Einfluss auf die Entscheidungen zu nehmen.
Hat es einen Fukushima-Effekt gegeben bei den Zürcher Wahlen? Ich meine nicht. Die CVP hat davon ausgehen müssen, dass im doch sehr zivilgesellschaftlichen Kanton Zürich das „C“ nicht mehr Wahllokomotive spielen kann. Als Anhänger der Porporzwahl auch für Exekutiven habe ich berechnet, wie eine nach dem Kantonsrats-Ergebnis zusammengesetzte Proporz-Regierung aussehen würde: 3 $VP-Sitze, je ein Sitz für FDP, SP, Grüne und Grünliberale – die CVP hat in keiner Form Anrecht auf einen Sitz in der Zürcher Regierung! Obwohl gerade $VP-Baudirektor Markus Kägi gegen jede Vernunft und Einsicht an der unnötigen Option Atomenergie festhält, wurde er trotz gegenteiliger Prognose relativ komfortabel wiedergewählt! Es ist also davon auszugehen, dass der Kanton Zürich weiterhin an einer zechprellerischen, nicht-nachhaltigen Politik der Verteidigung der ökologischen Grossfüsse festhält. Oder anders: angesichts der alarmierenden Lage der Welt betreibt der Kanton Zürich weiterhin Vogel-Strauss-Politik!
Auch bei diesen Wahlen ist wieder der typische Stadt-Land-Graben festzustellen: die Reihenfolge der Eitelkeitsrangliste in der Stadt Zürich:
- Mario Fehr,
- Regine Aeppli,
- Martin Graf,
- Thomas Heiniger,
- Ursula Gut,
- Hans Hollenstein,
- Ernst Stocker,
- (und damit nicht gewählt wäre) Markus Kägi.
In der Stadt Zürich würde ein Proporz-Regierunsrat bestehen aus drei Vertretungen der SP und je eine Vertretung von $VP, FDP, Grünen und Grünliberalen.
Ergebnis Regierungsratswahlen (öffnet in einem neuen Fenster)
Ergebnis Kantonsratswahlen (öffnet in einem neuen Fenster)
Prognosen und Verlauf Hochrechung Wahl Regierungsrat
Wenn es noch einen Beweis gebraucht hätte: Prognosen, wie sie Tamedia Anfang Februar und nach Mitte März 2011 publiziert hat, sind bei Majorzwahlen schlicht unbrauchbar. Hätte man die umgekehrte Reihenfolge des Wahlergebnisses angenommen, wäre eine Rangfolge-Fehlersumme von 32 ermittelt worden. Die erste Prognose ergab eine solche von 24 mit Hans Hollenstein an erster Stelle, in Realität abgewählt und Regine Aeppli an 2. Stelle, nun 329 Stimmen vor dem letztplazierten Martin Graf. Mario Fehr wurde der zweitletzte Platz prognostiziert, nun steht er an erster Stelle dieser politischen Eitelkeitsrangliste. Die nachfolgende Tabelle zeigt die Rangfolge-Veränderungen von der ersten Prognose bis zum Schlussergebnis. Die Farben haben nichts mit allfälligen Parteifarben zu tun – als Farbenfehlsichtiger gestalte ich meine eigenen Tabellen mit für mich unterscheidbaren Farben.
1. Prognose TA 1.2.2011 | 2. Prognose TA 21.3.2011 | Hochrechnung 3.4. 12:31 | Hochrechnung 3.4. 13:53 | Hochrechnung 3.4. 14:54 und Schlussergebnis | |
gewählt | Hans Hollenstein | Regine Aeppli | Ernst Stocker | Mario Fehr | Mario Fehr |
gewählt | Regine Aeppli | Hans Hollenstein | Mario Fehr | Thomas Heiniger | Thomas Heiniger |
gewählt | Ursula Gut | Mario Fehr | Thomas Heiniger | Ernst Stocker | Ernst Stocker |
gewählt | Thomas Heiniger | Thomas Heiniger | Markus Kägi | Ursula Gut | Ursula Gut |
gewählt | Ernst Stocker | Ursula Gut | Martin Graf | Markus Kägi | Markus Kägi |
gewählt | Mario Fehr | Ernst Stocker | Ursula Gut | Martin Graf | Regine Aeppli |
gewählt | Markus Kägi | Martin Graf | Regine Aeppli | Regine Aeppli | Martin Graf |
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nicht gewählt | Martin Graf | Markus Kägi | Hans Hollenstein | Hans Hollenstein | Hans Hollenstein |
Rangfolge-Fehlersumme | 24 | 22 | 10 | 2 | 0 |
Die zu erwartende Schlussfolgerung: Prognosen sind Unsinn, Hochrechnungen aufgrund der ersten Gemeindeergebnisse können erstaunlich präzise Aussagen über die Erreichung des absoluten Mehrs machen, nicht aber über die Rangfolge. Ich bleibe bei meiner Aussage, dass die immer mehr Richtung $VP tendierende Tamedia-Gruppe mit der „schlechten“ $VP-Plazierung einerseits eine Mobilisierung der $VP-WählerInnen und als Preis dafür vemehrte $VP-Inserate auslösen wollte. Dieses Kalkül ist mit Sicherheit aufgegangen.
Meine „Wahlempfehlung für Regierungs- und Kantonsratswahlen 2011.“