«Alu sammeln ist gut, Alu meiden besser». Schon Anfangs der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts war offensichtlich, dass Umweltpolitik nicht Symptombekämpfung sein sollte, sondern an den Ursachen möglicher Umweltbelastungen anzusetzen hat. Der Klimanotstand – seit etwas mehr als einem Jahr allgegenwärtig – illustiert diese mindestens vierzig Jahre alte Erkenntnis treffend. Letztlich geht es darum, das bezeichnende Wort «Entsorgung», hin und wieder auch «Entsorguns» geschrieben, durch Denken und Handeln in geschlossenen Kreisläufen – von der Wiege zur Wiege oder «Cradle-to-Cradle» C2C – abzulösen. Dies ist ein eindeutiger «System Change» – und darum in gewissen Kreisen vehement bestritten oder mindestens schön geschwatzt.
Einige Beispiele:
- Erdgas hat bei der Verbrennung leicht tiefere Emissionen des Treibhausgases CO2. Bei der Verbrennung gelangt zwar ein bisschen weniger Treibhausgas in die Atmosphäre – aber es handelt sich noch nicht um echten Klimaschutz. Dieser wird erst erreicht, wenn keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre gelangen. Dazu kommt: nach einer neuen Studie entstehen in der Kette von der Erdgasgewinnung bis zur Erdgasverbrennung hohe Methanemissionen, die in der Tendenz zu einer höheren Treibhausgasbelastung im Vergleich zu Heizöl oder sogar Kohle führen.
- Wenn die gesamte Kette des Elektroautos C2C ausgestaltet ist, sind solche Fahrzeuge eine deutlich bessere Lösung als Fahrzeuge mit Treibstoffen aus fossilen Benzin oder Diesel, auch als Fahrzeuge, die mit flüssigen oder gasförmigen erneuerbaren Treibstoffen betrieben werden. Autos haben weitere erhebliche umwelt-, verkehrs-, siedlungs- und gesellschaftspolitische Auswirkungen, die einen Eins-zu-Eins-Ersatz bisheriger Benzin- oder Dieselautos durch Elektroautos nicht als zweckmässig erscheinen lassen. Auch hier gilt: Um die Mobilität zu erhalten, braucht es weniger Verkehr.
- Biogas könnte einen gewissen Teil der Energieversorgung übernehmen. Hauptquellen für die Biogasproduktion wären die Ausscheidungen der landwirtschaftlichen Nutztiere und Food Waste. Da die heutige Landwirtschaft über zu grosse Tierbestände, meist in nicht artgerechter Haltung, verfügt, und Food Waste im Sinne von C2C zu vermeiden ist, ist das nachhaltig bereitstellbare Biogas-Potenzial relativ bescheiden.
Um einmal mehr den Weltklimarat IPCC zu zitieren: erforderlich sind ab sofort «schnelle, weitreichende und beispiellose Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft». Es geht also um schlicht alles, was in irgend einer Form Energie braucht – Gebäude, Verkehr, Privates, Geschäftliches, Konsum, Ernährung, …
Zentral dabei ist gesellschaftlicher Konsens, dass möglichst rasch eine fossilfreie Gesellschaft, welche den C2C-Grundsatz befolgt, zu erreichen ist.
«Man würde statt Massnahme X besser Massnahme Y realisieren» ist letztes Jahrhundert, ebenso «solange U. V macht, kann ich noch lange W machen» (zum Beispiel «solange U. Käse isst, darf ich noch lange Steaks auf den Grill legen»).
Wir haben als gesellschaftliche und individuelle Aufgabe eine konsequent nachhaltige Entwicklung anzugehen, unter Berücksichtigung der handlungsleitenden Prinzipien Suffizienz, Effizienz und Konsistenz (in dieser Reihenfolge), im Wissen darum, dass es bei dieser Entwicklung für jede und jeden liebgewordene Gewohnheiten gibt, die aufgegeben werden müssen.
Zitat dazu aus dem Buch «Kraftwerk Schweiz» von Anton Gunzinger, aus dem Brief einer Studentin an ihren Urgrossvater (selig), als Climate Fiction datiert am 2. Februar 2097: «Wenn ich vergleiche, wie ihr gelebt habt und wie wir heute leben, so muss ich zugeben: Wir sind materiell gesehen nicht mehr so reich, wie ihr es gewesen seid. Aber wir haben mehr Musse, mehr Zeit füreinander und nehmen mehr Rücksicht. Es gehört zu unseren wichtigsten Beschäftigungen, jeden Tag aufs Neue zu lernen, zu interpretieren, Zusammenhänge zu erarbeiten und erworbenes Wissen weiterzugeben. Wir sind neugierig wie kleine Kinder, lachen viel, können wieder staunen und haben alles, was es braucht, um ein erfülltes Leben zu führen. Wir fühlen uns wie im Paradies.»
Dies schafft die Verbindung zur Entwicklung der Diskussionen zum Klimanotstand: Zu Beginn gab es zahlreiche Versuche, die Notwendigkeit eines schnellen und gründlichen Klimaschutzes zu negieren. Die Entwicklung des Diskurses führte zur Forderung, die umzusetzenden Klimaschutzmassnahmen müssten auch für ökonomisch Benachteiligte finanzierbar sein. Zu beachten ist dabei allerdings angesichts des Klimanotstandes, dass der Klimaschutz nicht aus ökonomischen Rücksichten langsamer und weniger konsequent erfolgt, sondern dass die ökonomische Sicherung entsprechend anzupassen ist. Als Hinweis: Es gibt sehr viele Untersuchungen, die aufzeigen, dass eine Energieversorgung mit nachhaltig nutzbaren erneuerbaren Energien aus ökonomischer Sicht langfristig vorteilhafter ist als das Verbleiben bei den fossilen Energieträgern. Dazu kommt, dass es ebenfalls zahlreiche Untersuchungen gibt, die sehr deutlich zeigen, dass Klimaschutz aus finanzieller Sicht günstiger kommt als die Anpassung an die Klimakrise.
Der gesellschaftliche Konsens für eine raschmöglichst zu erreichende fossilfreie Gesellschaft mit C2C-Grundsatz bedeutet, dass alle individuellen und gesellschaftlichen Handlungsebenen zu nutzen sind. Gesetze (Stichwort Ökoroutine) und vorbildliches, eigenverantwortliches Handeln gehören in gegenseitiger Verstärkung zusammen. Und dies im Wissen darum, dass «liberal» nicht als Begründung dafür verwendet werden kann, weiterhin CO2 in die Atmosphäre wegzuwerfen – CO2, welches bei sach- und fachgerechter Anwendung fossiler Brenn- und Treibstoffe als Gift für das gemeinsame Gut «Weltklima» wirkt.
«System Change» statt Warmluft-Wahlpropaganda: Dies verlangt, dass wir möglichst rasch eine echte fossile Null erreichen wollen – und nicht anach Ausflüchten suchen, um den Klimaschutz hinauszuzögern. Nur «System Change» erlaubt es, die kognitive Dissonanz (Handeln steht im Widerspruch zum Wissen) zu überwinden.