Weil es den Titel „Warum ist die Demokratie kein Exportartikel?“ in meinem Blog schon gibt, habe ich für diesen Beitrag die beiden nicht direkt miteinander in Zusammenhang stehenden Begriffe „Apple“ und „Syrien“ gewählt. Warum?
Unter der Leitung von Steve Jobs hat Apple sehr gute Produkte hervorgebracht – möglicherweise gerade darum, weil sich Steve Jobs nicht wirklich für die Wünsche seiner KundInnen interessiert hat. P.S. Apple-Produkte sind Closed World, schränken die Möglichkeiten der NutzerInnen ein – aber funktionieren (Ende der Durchsage, ich mache keine Ersatzreligion aus diesen Produkten).
In diversen Ratings, etwa von Greenpeace, hat Apple schlecht abgeschnitten – unter anderem darum, weil das Unternehmen Fragebogen nicht beantwortet hat oder nicht die von den Ratern erwarteten Antworten geben konnte. Auch dies dürfte Einblick geben in die Einstellungen von Steve Jobs.
Die grössten Unternehmen der Welt, nicht nur Computerfirmen, nutzen in hohem Mass die arbeitsteilige Wirtschaft. Produziert wird dort, wo es am günstigsten ist. Wer trägt Verantwortung dafür, wie etwa Arbeitsverhältnisse geregelt sind, wie es um den Umweltschutz steht, welche Stoffe verwendet werden dürfen? Grundsätzlich gehören diese Aspekte zu den grundlegenden universellen Menschenrechten. In demokratischen Rechtsstaaten können die Einwohnenden damit rechnen, dass die Menschenrechte im Prinzip eingehalten sind (als generell-abstrakte Sicht, individuell-konkret bestehen auch in demokratischen Rechtsstaaten Einschränkungen). Wenn Unternehmen und Einzelpersonen aus solchen Staaten mit Einzelpersonen und Unternehmen aus nicht-demokratischen Willkürstaaten Geschäfte treiben, ist die Frage nach dem ethisch verantwortbaren Handeln naheliegend. „Nichteinmischung“ ist ein möglicher Umgang, die Auditierung freiwilliger (auf den Menschenrechten aufbauenden) Standards ebenso; prinzipiell ist auch die Frage des Boykotts zu prüfen.
Steve Jobs scheint sich, wie dies in vielen Bereichen üblich ist, für den Drei-Affen-Zugang (nichts hören, nichts sehen, nichts sagen) oder die Nichteinmischung entschieden zu haben, eine wie gesagt verbreitete, aber je länger je mehr zivilgesellschaftlich nicht mehr akzeptable Haltung! Der gegenwärtige Apple-Chef Tim Cook hat eine Praxisänderung bekanntgegeben: die Liste der Apple-Lieferanten wurde veröffentlicht, ebenso wie die bis anhin interne Berichterstattung über die Überprüfung der Zulieferanten. Kinderarbeit, Verletzung von Umweltauflagen, schlechte Bezahlung und so weiter werden von Apple aufgelistet – und es wird verlangt, dass die Auflagen eingehalten werden (siehe z.B. Financial Times Deutschland vom 14.1.2012).
Eine grundsätzlich positive Entwicklung – aber letztlich ein gravierender Misserfolg der Menschenrechtspolitik der internationalen Gemeinschaft! Demokratische Rechtsstaaten sind eine zwingende Voraussetzung für die Umsetzung der Menschenrechte.
Der regelmässig aktualisierte Demokratieindex der Zeitschrift The Economist schätzt 167 Länder dieser Erde nach den fünf Kriterien „Wahlprozess und Pluralismus“, „Funktionsweise der Regierung“, „Politische Teilhabe“, „Politische Kultur und Bürgerrechte“ ein (einige Mikrostaaten und das Bürgerkriegsland Somalia wurden nicht berücksichtigt).
- 25 Länder dieser Erde mit 11.3 % der Weltbevölkerung werden als vollständige Demokratien beurteilt.
- Als unvollständige Demokratien gelten 53 Länder mit einem Anteil von 37.1 % an der Bevölkerung
- In 37 Staaten mit einem Hybridregime leben weitere 14 % der Weltbevölkerung.
- 37.6 % der Weltbevölkerung werden von 52 autoritären Regimes beherrscht.
Nur eine Minderheit der Menschheit lebt in vollständigen Demokratien – die überwiegende Mehrheit der Menschen auf dieser Erde lebt in Staaten mit machtbesessenen, nach Machterhaltung strebenden PolitikerInnen an der Spitze, ist somit mehr oder weniger grosser Willkür ausgesetzt! P.S. Dass demokratische Staaten – etwa die USA bei den diversen Weltpolizei-Kriegen (Irak, Afghanistan, …) oder dem Krieg für Öl (offiziell als Krieg gegen der Terror bezeichnet) sehr locker mit demokratischen Grundsätzen umgehen, dass auch die EU angesichts der Finanzindustrie-/€-Krise viele Entscheide von den nicht immer dazu legitimierten Regierungen fällt lässt – ist auch nicht gerade Werbung für Demokratien.
Das Beispiel Syrien zeigt nun, was autoritäre Regimes anrichten können. Offensichtlich ist, dass sich die al-Assad-Diktatur mit aller Macht halten will, und dies ein offenbar zunehmender Anteil der Bevölkerung nicht will.
Dass die Diktaturen/autoritären Regimes China und Russland harmloseste UNO-Resolutionen zu Syrien mit einem Veto blockieren, dient ausschliesslich der eigenen Machterhaltung. Denn: sowohl in Russland wie in China müssen Oppositionelle und BürgerrechtlerInnen mit drakonischer Willkürbehandlung rechnen, wenn sie für Menschen in vollständigen Demokratien selbstverständliche und fundamentale Grundrechte beanspruchen wollen. Es ist unerträglich und unakzeptabel, dass sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel während ihres Staatsbesuches in China nicht mit dem Menschenrechtsanwalt Mo Shaoping oder der Redaktion der Zeitung Nanfangzhoumo treffen durfte.
Diese Diktatoren überall in der Welt reklamieren jeweils, dass sich „das Ausland“ nicht in innere Angelegenheiten einmischen dürfe. Eine solche Forderung ist ungehörig und unethisch. Menschenrechte sind universell – sowohl die Zivilgesellschaft als auch Staaten haben das Recht, ja gar die Pflicht, sich bei Diktatoren einzumischen, die diese universellen Menschenrechte nicht respektieren und gewährleisten. In China oder Russland werden regelmässig Menschen für Aktivitäten verurteilt, die in Demokratien selbstverständlich, legitim und respektiert sind!
Es ist zwingend erforderlich, dass die UNO sich reorganisiert. Die Schwierigkeit der Weltorganisation liegt allerdings darin, dass weniger als die Hälfte der Mitgliedsländer als vollständige oder unvollständige Demokratien betrachtet werden können – die Mehrheitsverhältnisse der UNO werden von VertreterInnen zumindest diktaturnaher Regimes bestimmt! Auch hier sind somit keine eindeutigen Entscheide für die Respektierung der universellen Menschenrechte zu erwarten. Allfällige Entscheide in diese Richtung könnten auch ohne Vetorecht einzelner Ländern von der Mehrheit der Staaten blockiert werden.
Da es auch in den Ländern mit vollständiger Demokratie immer mehr Gruppen gibt – von der $VP bis zur Tea Party -, die von ihrer Struktur und ihren Botschaften her eindeutig antidemokratisch und gegen den Rechtsstaat ausgerichtet sind, sind die Errungenschaften der Aufklärung und der französischen Revolution „Gerechtigkeit, Freiheit und Geschwisterlichkeit“ erstens (mit zivilgesellschaftlichen Mitteln) zu verteidigen und es ist zweitens sehr viel Werbung – angefangen von der Einmischung bis zum Boykott – für den demokratischen Rechtsstaat erforderlich.
Und dazu gehört halt auch, dass sich Unternehmen wie Apple aktiv dafür einsetzen, dass bei der Herstellung ihrer Produkte fundamentale Menschenrechte berücksichtigt werden.
Halb OT: Wie kommt der Economist bloss dazu, Monarchien als «vollständige Demokratien» zu betiteln? In Britannien und anderswo gilt definitiv nicht «one law for all».
„Vollständige Demokratie“ nach Economist ist nicht gleichbedeutend wie „ideale Demokratie“ – diese Bedingung erfüllt ja so oder so kein Land! Repräsentative Monarchien sind kein Ausschlusskriterium – repräsentative Demokratien ja auch nicht (aus meiner Sicht sind Systeme mit starken Einzelpersonen als MinisterpräsidentIn (z.B. D, I) oder PräsidentIn (z.B. USA, F) bezüglich Demokratie auch nicht problemlos).
Es ist wie immer bei solchen Ratings: es braucht Kriterien, es braucht eine Skala. Von 8 bis 10 Punkten gilt eine Demokratie als vollständig. Norwegen als bestplaziertes Land hat 9.8 Punkte, die Schweiz auf Platz 7 kommt auf 9.09 Punkte – UK kommt auf Platz 18 (knapp vor den USA) mit 8.16 Punkten, also knapp vor der Schwelle zur unvollständigen Demokratie, durchaus angemessen plaziert daher …