Wie nicht anders zu erwarten war, hat das atomenergie-nahe Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI die grundsätzliche Standorteignung für drei neue AKW-Standorte bestätigt. Die ersten Reaktionen der AKW-Lobby lassen befürchten, dass hier einmal mehr eine unsinnige und unnötige Energietechnologie herangemurkst werden soll. Denn: längst ist klar, dass eine saubere, sichere, nachhaltige und preisgünstige zukünftige Energieversorgung nur ohne neue und bestehende Atomkraftwerke erreicht werden kann. Wenn dies insbesondere FDP, CVP und SVP bestreiten, demonstrieren sie einmal mehr, dass sie nicht Energiepolitik, sondern Wirtschaftspolitik für rückständige Unternehmen betreiben.
Wissenschaftlich ist längst klar: Atomkraftwerke braucht es wirklich nicht, das heisst der Bedarf für neue (und bestehende) Atomkraftwerke in der Schweiz ist und bleibt NULL. Neuestes Zitat: HSG-Professor und Energieexperte Rolf Wüstenhagen, welcher am 10. November 2010 im St. Galler Tagblatt für den Atomenergieausstieg plädiert! Es ist erstaunlich, wie wissenschafts- und wirtschaftsfern FDP, CVP und SVP argumentieren.
FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen möchte lieber nach dem Drei-Affen-Prinzip verfahren. Das Thema Tschernobyl beispielsweise möchte er stillschweigen und ignorieren. Von den direkten Folgen dieser Industrie-Katastrophe ist dies zwar verständlich – nicht aber im Bezug auf das Thema Sicherheit zukünftiger Anlagen. Einverstanden, Herr Wasserfallen, reden wir in Ihrer Anwesenheit nicht von Tschernobyl. Reden wir aber von Sicherheit – zum Beispiel von der Versicherung, die für den Betrieb eines Atomkraftwerks nötig ist. Im Nationalrat verlangte Martin Bäumle 2005 eine Versicherungsdeckung von 500 Mia Franken für Atomkraftwerke – die klassische volkswirtschaftliche Absicherung von Risiken. Die FDP hat sich klar gegen diese Vorgabe ausgesprochen. Warum? Die Versicherungswirtschaft ist bekannt für eine realistische Risikoeinschätzung mit entsprechender Prämiengestaltung, auch bei sogenannt kleinen Risiken mit potentiell grosser Schadensumme – typischer Fall eines Atomkraftwerkes. Wenn nun ein AKW nach dem klassischen Versicherungsansatz für den potentiellen Schadenfall versichert werden müsste, würden die erforderlichen Prämien aufzeigen, dass Atomstrom derart teuer ist, dass er auf dem Markt schlicht keine Chance hätte. Warum, Herr Wasserfallen, beachtet hier die FDP nicht einmal ihre eigenen parteipolitischen Grundsätze. Klar ist, und das wurde unlängst auch für Deutschland gezeigt: der Atomstrom wurde und wird durch erhebliche staatliche Subventionen erheblich gefördert! Im Fördergelder in einer Höhe, wie sie noch nie für erneuerbare Energien bezahlt wurde (obwohl dort etwa Avenir Suisse in wiederholter Unkenntnis der Sachlage von einem Fördergeld-Schlaraffenland spricht).
Herr Wasserfallen meint weiter, eine schweigende Mehrheit sei für neue Atomkraftwerke. Das ist schlicht und einfach eine herbeigeschwatzte Argumentationsblase. Die Realität zeigt genau das Gegenteil. Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich ewz überlässt den KundInnen die Wahl der Stromqualität. Ergebnis 2009: ganze 26.7 % der StromkundInnen haben sich für Kernkraft entschieden – nur rund ein Viertel der KundInnen. Im Gegensatz dazu bei den Elektrizitätswerken des Kantons Zürich EKZ: hier können die KundInnen ihren Strommix nicht selber bestimmen. Folge 2009: EKZ beliefert die KundInnen zu 73.93 % mit Kernenergie (für 2010: 66.88%)! Eine Erklärung für diese Differenz: die Stadt Zürich hat sich für den längerfristigen Ausstieg aus der Atomenergie entschieden, der Kanton Zürich als Alleinaktionär der EKZ und Mitaktionär der AXPO setzt sich für mindestens ein neues Atomkraftwerk ein! Ist dies die schweigende Mehrheit von Herrn Wasserfallen für neue AKW? Dies müsste treffender als Nötigung bezeichnet werden. Denn, auch dies ein Forschungsergebnis von Rolf Wüstenhagen und seinen Mitarbeitenden: Kunden wünschen erneuerbare Energien! Herr Wasserfallen und seine Lobby-KollegInnen wollen ihnen diese verweigern! Wie kann man dermassen an der Mehrheit der Stimmberechtigten vorbeipolitisieren?
Ein weiteres Element aus der Märchenkiste der Atomlobby ist der Hinweis auf den Beitrag der Stromproduktion zur Verminderung des Mensch gemachten Klimawandels. Nun, es gibt auch bei der FDP genügend Climate Criminals – irgendwann wird Herr Wasserfallen die FDP dazu zwingen müssen, endlich klar Position zu beziehen. Wenn es den Mensch gemachten Klimawandel nach Ansicht der FDP nicht geben sollte, sind daraus abgeleitete Argumente für neue AKWs schlichter Unsinn.
Da es den Mensch gemachten Klimawandel tatsächlich gibt, ist trotzdem das daraus abgeleitete Pro-AKW-Argument Unsinn. Und zwar aus sehr vielen Gründen.
Vorerst: zwar ist Uran nicht fossil, aber auch nicht erneuerbar. Das heisst: Nachhaltig ist die Atomenergie rein von den Ressourcen her schon mal nicht.
Spätestens seit den Castortransporten in Deutschland sollte auch die FDP gemerkt haben, dass Atomenergie nicht demokratieverträglich ist. Gerade eine liberale Partei kann den für eine ausgedehntere Atomenergienutzung erforderlichen Polizeistaat während mindestens einer Million Jahre – unter Berücksichtigung der erforderlichen sicheren Lagerdauer des Atommülls – sicher nicht wollen. Klar ist auch: eine auf erneuerbare Energien aufbauende Stromversorgung ist letztlich deutlich günstiger als eine Atomstromversorgung, sie ist zudem mit Sicherheit nachhaltig – und führt zudem zur 2000-Watt-Gesellschaft. Wer behauptet, Atomstrom sei ein nachhaltiger Klimaschutzbeitrag, hat sich noch nie ernsthaft und wissenschaftlich abgesichert mit dieser Thematik beschäftigt!
Grotesk wird die Diskussion, wenn lamentiert wird, erneuerbare Energien müsse man aus dem Ausland importieren. Zwei Anmerkungen dazu: erstens ist mir nicht bekannt, dass es sich bei den „Atombrennstoffen“ (Uran und weitere daraus abgeleitete Stoffe) um Rohstoffe aus Schweizer Boden handelt – und wie das Beispiel Iran zeigt, ist die Zugänglichkeit zu „Atombrennstoffen“ eine hoch machtpolitische Fragestellung. Zweitens ist die Schweiz bei fast nichts selbstversorgend (allenfalls beim direktdemokratischen System helvetischer Prägung). Die bereits lange Geschichte der Stromversorgung zeigt: der Standort der stromproduzierenden Anlagen ist nicht zentral – es gibt bekanntlich ein mindestens europaweites Hochspannungsnetz. Entscheidend ist aber, dass die Schweiz – egal wo im Bereich Mittel- und Nordeuropa – in Anlagen für erneuerbare Stromproduktion investiert – wie das etwa das ewz (Stadt Zürich) oder die IWB (Basel-Stadt) tun. Wenn nun FDP, SVP und allenfalls die CVP die Energiewirtschaft dazu zwingen wollen, im Inland in Atomkraftwerke zu investieren, führt dies dazu, dass die gesamte Branche die wirtschaftliche Chance „Produktion von Strom aus erneuerbaren Energien“ nicht nutzen kann. Als Hinweis an CVP-Bundesrätin Doris Leuthard: Atomenergie hat nichts, aber auch gar nichts mit Cleantech zu tun, ganz im Gegenteil!
Es bleibt dabei: Strom ohne Atom ist die einzig sinnvolle Strategie für die zukünftige Stromversorgung der Schweiz!