Rekordmeldungen erfordern gerade im Energie- und Klimaschutzbereich ein sehr genaues Hinschauen. Das gilt insbesondere für Meldungen zu Biogas. Denn: Biogas wird unabhängig vom tatsächlichen Potenzial von der Erdgaswirtschaft als «grünes» Alibi-Blättchen zum Verkauf von fossilem Erdgas genutzt, als klassische «Greenwash»-Propaganda. Klar ist bloss dies: um 2040 bis spätestens 2050 muss zum Schutze des Klimas aus den fossilen Energien ausgestiegen werden, auch aus dem Erdgas. Biogas wird zukünftig bestenfalls lokal in geringem Umfang eine energiepolitische Bedeutung haben.
Am 1. Februar 2018 hat Energie 360° AG über einen Rekord berichtet: Die Biogasanlage im Zürcher Werdhölzli hat 2017 mehr Biogas produziert als je zuvor, etwa 3.5 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Gemessen am Gesamtabsatz von Energie 360° AG von 7’371 Gigawattstunden (GWh) machen die «rund 68 GWh» Werdhölzli-Biogas einen Anteil von 0.9 Prozent aus, von den auf Stadtgebiet Zürich abgesetzten etwa 2’200 GWh sind dies etwa 3 Prozent.
Da Erdgas von der Förderung bis zur Verbrennung einiges an Treibhausgasen verursacht, ist der Verbrauch von Erdgas so rasch als möglich auf Null zu reduzieren. Bis 2030 müsste mindestens eine Halbierung des gesamten Gasabsatzes erreicht werden – die CH-Gaswirtschaft will bis dahin einen Biogas-Anteil von 30 Prozent erreichen. Dazu wären für Zürich etwa 330 GWh Biogas erforderlich, also etwa fünf mal mehr als heute.
Angesichts des lokalen Biomasse-Potenzials in der Grossregion Zürich ist dies schlicht unmöglich. Zudem ist selbst das vorhandene Potenzial nicht nachhaltig – in der «Rekord»-Mitteilung ist nämlich festgehalten, dass die Zunahme der Biogasproduktion auf immer mehr angelieferte Speisereste zurückzuführen sei. Speisereste gelten gemäss der heutigen Sprachpraxis als «Food Waste», als Verschwendung von Lebensmitteln. Seit einigen Jahren ist es ein erklärtes Ziel der Politik, solchen «Food Waste» zu vermindern. Mit ein Grund dafür ist, dass die heutige Produktion von Lebensmitteln ebenfalls kräftig zum von Menschen gemachten Klimawandel beiträgt. Wenn die Verminderung des «Food Waste» gelingt, wird somit das Biomasse-Potenzial erheblich vermindert. Selbst die mit einem «Prix Watt d’Or 2018» ausgezeichnet Power-To-Gas-Lösung ermöglicht bestenfalls kosmetische Potenzialverbesserungen.
Energie 360° AG bietet derzeit standardmässig einen Biogasanteil von 10 Prozent im gelieferten Brenngas an. Das lokale Potenzial reicht bei weitem nicht aus, um diesen Biogas-Anteil zu erreichen. Energie 360° AG kauft dementsprechend Biogas-Zertifikate ein. 230 GWh Biogas, deutlich mehr als aus dem Werdhölzli, stammt aus der Biogasanlage einer Zuckerfabrik im ungarischen Kaposvár, etwa 1’000 Kilometer östlich von Zürich. Auch diese Anlage nutzt industriellen «Food Waste» – in Schweizer Zuckerfabriken werden die 5/6 nicht für die Zuckerproduktion nutzbare Biomasse zu Futterschnitzeln für Rinder und Pferde weiterverarbeitet. Die Biogasproduktion in Kaposvár ist zwar «naturemade star»-zertifiziert, spätestens dann, wenn kein fossiles Erdgas mehr im Netz transportiert wird, gibt es keine physische Gas-Leitungs-Verbindung mehr, die solche Zertifikate legitimiert. PS: Darin besteht der Unterschied zur Zulässigkeit von Zertifikatslösungen im Strombereich.
Hier geht es um den kategorischen oder kant’schen Imperativ: Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. Es ist keine nachhaltige Lösung, Biogas aus weit entfernten Gegenden virtuell zu importieren, wenn die echte Klimaschutz-Wirkung durch Biogasnutzung am Produktionsort dadurch verunmöglicht wird. Dies wird ergänzt durch die deklarierte Haltung des Gesetzgebers. Die kantonalen EnergiedirektorInnen, zuständig für die Konkretisierung der Energie- und Klimaschutzpolitik im Gebäudebereich, halten nämlich in den «Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich 2014» (MuKEn 2014) fest: Die [gesetzlichen] Anforderungen sind mit Massnahmen am Standort zu erfüllen. Eine vertragliche Verpflichtung für den Bezug von … Biogas kann für den Projektnachweis im Rahmen des Bewilligungsverfahrens nicht berücksichtigt werden.
Somit ist offensichtlich, dass die für 2030 oder darüber hinaus versprochenen Biogasanteile reine Propaganda-Aussagen sind, eigentliche «alternative Fakten».
Die Interessen der Erdgaswirtschaft nach «virtuellem» Biogas und der Städte, der Kantone und des Bundes an einer zukunftsfähigen Klimaschutzpolitik lassen sich nicht vereinbaren.
Wenn Städte eine mit dem Pariser Klimaschutz-Übereinkommen vereinbare Klimaschutzpolitik betreiben, ist unabhängig von der Rechtsform ein städtisches Mitwirken an der Gasversorgung ausgeschlossen. Fossilfrei bedeutet somit auch für Städte Divestment, und zwar so rasch als möglich.