Selbst bei „Zero Tolerance“ ist in der sozialen Sicherung ein Missbrauch nie zu hundert Prozent zu verhindern. Wie im öffentlichen Verkehr gibt es in vielen Alltagsbereichen „SchwarzfahrerInnen„. Die Missbrauchsverhinderung gehört – zum Beispiel über die Funktion des Controllings – zu den Grundelementen der sozialen Sicherung. Wer stattdessen den Weg des Whisteblowings wählt, macht sich der Amtsgeheimnisverletzung schuldig.
Es war zu erwarten: im Gegensatz zur SVP-Einzelrichterin am Bezirksgericht haben die 3 aus verschiedenen Parteien stammenden OberrichterInnen die zwei Whistleblowerinnen Margrit Zopfi und Esther Wyler wegen Amtsgeheimnisverletzung verurteilt – obwohl oder gerade deshalb, weil sie mit dem Prix Courage ausgezeichnet wurden. Diese Diskrepanz zwischen Courage und Bestrafung zeigt aber auch, dass das politisches System dieses Landes ziemlich zerrüttet ist – im wesentlichen eine Folge der Zechprellerei-Politik der SVP!
ControllerInnen tragen Mitverantwortung für die Zielerreichung – sie haben die ihnen bekannten Dienstwege zu nutzen, um ihren Job zu erfüllen, inklusive die Ombudsfunktion der Verwaltung – gerade selbstlernende Organisationen erfordern dies zwingend. Wer diese Abläufe gemäss Jobbeschreibung nicht nutzt, nicht einmal ausprobiert, also den Job nicht ausführt, begeht ohne Wenn und Aber strafbare Amtsgeheimnisverletzung, wenn Unterlagen an die Medien weitergegeben werden. Wie diverse Untersuchungen gezeigt haben, ist der Missbrauch der sozialen Sicherung – bis auf eine SchwarzfahrerInnen-Quote unter einem Prozent: aufgrund des Geschäftsberichtes 2009 des Sozialdepartements gab es 13’044 „Fälle“ mit wirtschaftlicher Hilfe. Bei etwa 76 „Fällen“ ergab sich ein Missbrauch der wirtschaftlichen Hilfe – also bei etwa 0.6 % der Fälle! Auf jeden Fall ist jeder Missbrauch ein Missbrauch zu viel – von einem gravierenden und systematischen Missbrauch kann sicher nicht die Rede sein. Einfach zum Vergleich: bei der VBZ betrug die SchwarzfahrerInnen-Quote 1.21 Prozent – niemand würde deswegen auf die Idee kommen, der politisch verantwortliche Stadtrat Andres Türler müsse deswegen den Hut nehmen. Im Sozialbereich war und ist dies anders! Wenn aber der Missbrauch weder gravierend noch systematisch ist, gibt es keine Rechtfertigung für eine Amtsgeheimnisverletzung. Der Prix Courage ergibt sich aus der Einschätzung, dass ein aufgebauschter Einzelfall der Schwarzfahrerquote symbolisch für die gesamte soziale Sicherung stehe – die Bestrafung der Amtsgeheimnisverletzung ergibt sich zwingend aus der vertretbar kleinen SchwarzfahrerInnenquote. Dies scheint im übrigen typisch zu sein für die Politik der SVP: da wird aus einem Einzelfall, welcher ein Nicht-Thema darstellt, eine wahnsinnig aufgeblähte Sache gemacht – selbst wenn dafür einzelne zu kriminellen Handlungen angestiftet werden. Das hat nichts mehr mit Demokratie zu tun!
Auch wenn diese Überbetonung des Missbrauchs der wirtschaftlichen Hilfe ein typisches Element der Zechprellerei-Politik der SVP ist, weist die öffentliche Diskussion letztlich auf einen Neidaspekt hinaus: soziale Hilfe wird nach wie vor als Gnade verstanden – viele haben den Eindruck, sie würden das Luxusleben anderer mit dem finanzieren, was sie mühselig zusammensparen. Zwar mit Sicherheit eine falsche Vorstellung – allerdings ein Argument mehr für die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens für alle!
Ein Gedanke zu „Courage oder Bestrafung: besser ist der Wechsel zum bedingungslosen Grundeinkommen für alle“
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