Am 30. November 2008 sind die Stimmberechtigten der Stadt Zürich aufgerufen, Stellung zu einer zentralen Zukunftsfrage zu beziehen: soll die Energieversorgung weiterhin auf fossilen Energieträgern wie Erdöl oder Erdgas, auf Atomenergie – beides endliche, begrenzte Ressourcen – aufbauen, oder soll zukunftsgerichtet die Energieversorgung auf die Säulen Energieeffizienz und erneuerbare Energien aufbauen? Stadtrat und Gemeinderat von Zürich schlagen den Stimmberechtigten vor, sich auf den Weg Richtung 2000-Watt-Gesellschaft zu begeben – und damit den Energieverbrauch – nicht von heute auf morgen, aber möglichst rasch – deutlich zu vermindern und auch den Ausstoss von Treibhausgasen wie CO2 deutlich zu vermindern: eine ambitiöse Herausforderung! Ein Angstmacher-Komitee mit ausschliesslich ausserstädtischen und ausserkantonalen Organisationen hält dagegen – im Internet ist dies nicht mehr verfügbar.
Die Argumente dieses Komitees stammen aus der energiepolitischen Steinzeit. Die vor allem älteren Herren schliessen aus der Vergangenheitsperspektive linear für die Zukunft. Ausgeblendet wird die Endlichkeit sowohl von Erdöl und Erdgas, aber auch von spaltbarem Nuklearmaterial. Der Peak Oil etwa ist eine längst anerkannte Tatsache, debattiert wird nur noch über den Zeitpunkt. Und die endliche Kernenergie, eher als Atomenergie bezeichnet, kann keinen ernsthaften Beitrag zum Schutz des globalen Klimas leisten.
Eine sichere Energieversorgung muss also raschmöglichst ausschliesslich auf erneuerbaren Energiequellen aufbauen – spätestens der „Krieg um Oel“ – sei dies in Irak, sei dies Georgien/Russland – oder die Auseinandersetzung um die Atomenergiepolitik des Irans zeigen, dass die Kontrolle der nicht-erneuerbaren Energien ein erhebliches Konfliktpotential zur Folge hat. Wenn also ein Komitee dieser Art – welches sich für die Fortsetzung der bisherigen Verschwendungspolitik stark macht – unter dem Namen „sichere Energieversorgung“ firmiert, ist dies blanker Zynismus.
Es ist durchaus davon auszugehen, dass zukünftig Strom einen grösseren Stellenwert in der Energieversorgung übernimmt. Strom ist allerdings nur „Transmissionsriemen“ – dahinter stecken immer verschiedene Formen von Primärenergie. Auch die Schweizerische Energieforschung steckt den Löwenanteil ihrer Mittel in diesem Bereich in die Atomenergie. Das Potential der erneuerbaren Energien für die Stromversorgung ist riesig. Allerdings braucht es bereits jetzt bewusste zukunftsgerichtete Entscheide, wie sie die Stadt Zürich anstrebt. Solche Entscheide sind Signale sowohl für die Wirtschaft als auch die Konsumentinnen, sich bewusst und vorsätzlich für erneuerbare Energien zu engagieren. Die Absicht der Stadt Zürich, sich zukünftig nicht mehr an neuen Atomenergieanlagen zu beteiligen, hat eine sehr lange Optik und ist deshalb alles andere als mutig oder unüberlegt, sondern zeigt für alle Beteiligten den Weg in eine sichere Energiezukunft auf. Im übrigen: das Stromsparpotenzial ist erheblich – mit bereits heute verfügbaren technischen Möglichkeiten könnte der Stromverbrauch in Haushalt und Wirtschaft mindestens halbiert werden.
Wer im Jahr 2008 immer noch von einer Stromlücke spricht, kommt entweder aus der PR-Branche oder hat energiepolitisch und ökonomisch wirklich nichts begriffen. Auch im Strombereich gelten die Gesetze von Angebot und Nachfrage: steigt die Nachfrage, steigen die Strompreise, was dazu führt, dass Stromeffizienz und erneuerbare Energien ökonomisch noch interessanter werden – womit die Strompreissteigerung zu einer Dämpfung der Verbrauchszunahme führt – analoges Beispiel siehe die Auswirkungen der starken Oelpreissteigerung 2007/2008.
Ist die kumulative Einhaltung aller Vorgaben – 2000-Watt-Gesellschaft, 1 Tonne CO2, keine neuen Atomkraftwerke – bis 2050 möglich? Objektiverweise ist diese Frage ausschliesslich akademisch zu interpretieren. Da bereits heute sämtliche Techniken vorhanden sind, die zur Erreichung dieses Ziels erforderlich sind, geht es letztlich darum, mit wie viel Überzeugung und Engagement die Erreichung dieses Ziels angestrebt wird. Aus ökonomischer Sicht reduziert sich die Fragestellung darauf, wie viele Prozent des Bruttosozialprodukts für Klimaschutzmassnahmen ausgegeben werden – oder welche Mittel zukünftige Generationen für die Bewältigung der Folgen des Klimawandels – Bandbreite stärke/häufigere Extrem-Wetter-Ereignisse bis riesige Klima-Flüchtlings-Ströme – einsetzen müssen. Der Stern-Report nennt für Klimaschutz-Massnahmen Kosten von einem Prozent des Bruttosozialprodukts, für die Klimawandel-Bewältigungskosten einen Verlustbereich des Bruttosozialprodukts von 5 bis 20 Prozent. Zur Beachtung: die Massnahmen zum Klimaschutz stellen eine Wertzunahme dar, während die Klimawandel-Anpassungskosten wertvernichtend sind! Im Sinne der Klugheit ist Vorsorge auf jeden Fall vorzuziehen! Nochmals: ob die Ziele, wie sie der Vorschlag von Stadt- und Gemeinderat für die Gemeindeordnung vorsehen, bis 2050 erreichbar sind, ist nicht eine technische, sondern eine gesellschaftspolitische Hausaufgabe. Weil es hier letztlich um das Überleben der menschlichen Kultur auf diesem Planeten geht, ist Handeln dringlich – und Nichtstun im Sinne des Angstmacher-Komitees grobfahrlässig und gefährlich…
Völlig klar ist: die Wirtschaftsbranchen der 2000-Watt-Gesellschaft sehen anders aus als die heutige Wirtschaftsstruktur – allerdings gehört es geradezu zum Prinzip der Wirtschaft, dass es VerliererInnen und GewinnerInnen aufgrund wirtschaftlicher Entwicklungen gibt. Gemessen an den Zyklen der Wirtschaft sollten die auf dem Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft sich ergebenden Strukturanpassungen bewältigbar sein – es kann ja nicht sein, dass die Wirtschaftspolitik auf Strukturerhaltung ausgerichtet ist. Zur Abrundung: ein wichtiger Aspekt der 2000-Watt-Gesellschaft ist die Frage nach der Suffizienz – der bewusste Verzicht, das Abstandnehmen vom Alles-haben-müssen, vom Konsumismus – auch dies eine gesellschaftspolitische Dimension mit gewichtigen ethisch-moralischen Belangen (illustriert mit einem Buchtitel von Hans Ruh und Thomas Gröbly: Die Zukunft ist ethisch – oder gar nicht).
Definitiv polemisch wird das Angstmacher-Komitee, wenn es zur Beschreibung der 2000-Watt-Gesellschaft auf Jemen oder die Republik Kongo verweist. Jemen oder Kongo liegen allerdings mit dem Pro-Kopf-Energieverbrauch deutlich unter 2000 Watt (20 bis 25 mal tiefer als der Pro-Kopf-Verbrauch in der Schweiz), also eher in der Nähe der 200-Watt-Gesellschaft. Da scheinen die Komitee-Verantwortlichen den Taschenrechner oder das EXCEL nicht in Griff zu haben. Da es bekanntlich keine aus der Zeit betrachtet Rückwärts-Entwicklungen gibt, sind Vergleiche mit Staaten, die als Entwicklungsländer gelten, zum Vorneherein unsinnig. Die 2000-Watt-Gesellschaft erfordert eine Entkoppelung der Wirtschaftskraft vom Energieverbrauch. Zu beachten ist, dass das BIP nicht die richtige Grösse ist, um den Wohlstand nachhaltig zu beschreiben. Solange beispielsweise der ökologische Fussabdruck der durchschnittlichen Schweizerin/des durchschnittlichen Schweizers über der Tragfähigkeit des Planeten Erde liegt, lebt die Schweiz zulasten anderer Weltregionen und zukünftiger Generationen, sie lebt also auf Pump, was auf Dauer nicht möglich ist. Mit anderen Worten: die Lebensqualität der 2000-Watt-Gesellschaft ist eine andere als die heutige, mit anderen Werten, mit anderen Qualitäten, mit anderen Quantitäten – auf jeden Fall hat die 2000-Watt-Gesellschaft keine Ähnlichkeit mit dem Lebensstil in Jemen oder Kongo. Wenn sich die Schweiz auf den Weg Richtung 2000-Watt-Gesellschaft macht, trägt die Schweiz eigenverantwortlich die tatsächlichen Kosten für den Wohlstand, was durchaus dazu führen kann, dass sich z.B. die Lebensqualität auch in Jemen oder Kongo verbessert! Die 2000-Watt-Gesellschaft ist also auch ein Beitrag zur Steigerung der globalen Solidarität und Gerechtigkeit.
Fazit: das Angstmacher-Komitee – hauptsächlich die kantonalen und nationalen Gewerbeverbände – führt schlicht keine wahren Argumente auf, die gegen die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft (mit höchstens einer Tonne CO2 und dem Verzicht auf neue Atomenergieanlagen) sprechen würden. Darum Ja am 30. November zur Änderung der Gemeindeordnung der Stadt Zürich!
Aus 2kwblog.umweltnetz.ch
Mit 76.4 Prozent Ja-Stimmen haben die stimmenden Zürcherinnen und Zürcher die Vision der 2000-Watt-Gesellschaft mit den drei wesentlichen Elementen
Verminderung des Energieverbrauchs auf etwa einen Drittel des heutigen Werteshöchstens eine Tonne CO2-Emis