Dürfen Velofahrende alles?

Als Legalist bemühe ich mich, auch mit dem Velo möglichst gesetzeskonform zu fahren – und bin schon zu mancher Sitzung zu spät gekommen, weil ich regelmässig mehr an Rotlichtern warten muss als ich unterwegs bin. Meine Erfahrung: Gesetze sind nicht für Velofahrende gemacht, sondern für tonnenschwere MIEF-Vehikel (vielleicht schreibt sich das auch als MIV 😉 )

Rechtsabbiegen bei Rotlicht ist für Velofahrende bei 99.9999999999 Prozent aller Kreuzungen problemlos möglich – und ist in verschiedenen Ländern auch erlaubt. Auch das Fahren auf dem Trottoir ist an diversen Orten verkehrstechnisch und sicherheitsmässig sinnvoll. Dass die Stadtpolizei Zürich, statt hitzefrei zu nehmen, an einer verkehrlich völlig unkritischen Stelle, nämlich am Limmatquai, Bussen im Dutzend verteilt, ist bestenfalls auf Bequemlichkeit, aber sicher nicht auf eine verkehrspolitische Notwendigkeit zurückzuführen.

Als legalistischer Velofahrer halte ich klipp und klar fest: auch die Stadt Zürich ist hochgradig velofeindlich, die offenbar SVP dominierte Polizei und auch das entsprechend ausgestattete Tiefbauamt tut alles, um den Velofahrenden das Leben schwer zu machen. Einige Beispiele gefällig?

  • Wer von der Bahnhofbrücke via Bahnhofquai über die Walchebrücke zur Stampfenbachstrasse fahren will, hat in der Regel auf etwa 200 Metern Distanz vor VIER Rotlichtern zu halten. Nicht so Autofahrende: diese haben meist eine grüne Welle.
  • Wer auf dem Veloweg entlang des Neumühlequais unterwegs ist, wird offiziell etwa 50 m vor der Kreuzung mitten in eine dreispurige Autostrecke gejagt. Wer sich so verhält, muss mindestens masochistisch veranlagt sein. Andererseits ist das Ausweichen auf das Trottoir nicht wirklich ideal, weil es doch relativ viele zu Fuss gehende hat.
  • Werden Baustellen installiert, befinden sich Baubaracken, Materialdepots und dergleichen in der Regel auf … Velostreifen, und dies in der Regel sogar ohne entsprechende Warnhinweise.
  • Grundsätzlich ist auf der Quaibrücke und entlang des rechten Seeufers ein Veloweg signalisiert. Nur ist dieser derart schwach hervorgehoben, dass er eigentlich dauernd von zu Fuss gehenden benutzt wird.

Diese Liste könnte beliebig weitergeführt werden.

Selbst in einer leicht hügeligen Stadt wie Zürich gibt es erstens genügend Menschen, die auch ausserhalb von Fitness-Centers oder Finnenbahnen etwas für ihre körperliche Gesundheit tun wollen, und zweitens bewusst auf das Auto verzichten, zum Beispiel zum Schutze des Klimas. Eigentlich wäre dieses sinnvolle Verhalten zu belohnen – wird es aber nicht wirklich in der Stadt Zürich. Velostadt ist Zürich erst, wenn es keine Bussen mehr gibt für Velofahren (ausser zum Beispiel für Handybenutzung während der Fahrt – dies ist schlicht unhöflich gegenüber dem oder der GesprächspartnerIn und gehört tatsächlich gebüsst).

Noch ein Wort zum Legalismus: Da ich nach wie vor davon ausgehe, dass „der Staat“ das Umweltschutzgesetz (mit den Lärmschutz- und Luftreinhaltevorschriften) und das CO2-Gesetz tatsächlich umsetzt, finde ich es angezeigt, auch in meinem Verantwortungsbereich Gesetze so weit möglich zu berücksichtigen. Und dies, obwohl gerade das Tiefbauamt der Stadt Zürich mir tagtäglich beweist, dass es sich um Gesetze foutiert!


Nachtrag 4.12.2009

Bis zum Beweis des Gegenteils gehe ich davon aus, dass im Strassenraum insbesondere die Stadtpolizei Zürich zu einer erheblichen Eskalation beiträgt, zum Beispiel durch die unnötige, verfassungswidrige und provokative Jagd auf Velofahrende. Die Polizei deklariert offiziell Velofahrende als „Freiwild“ – dies hat direkte Auswirkungen im Strassenverkehr. All die Gaspedal-FetischistInnen und SUV-Junkies imitieren das Verhalten der Polizei (und der Strassenverantwortlichen). So ist regelmässig festzustellen, dass die Polizei vorsätzlich und unnötig ihre Fahrzeuge ausgerechnet auf den so oder so schon knappen Velostreifen abstellt – wer am Polizeifahrzeug vorbeifahren will, muss sich gezwungenermassen illegal verhalten – entweder auf das Trottoir ausweichen oder den Velostreifen verlassen! In den Warteschlangen vor Signalanlagen stehen ausgerechnet Polizeifahrzeuge tendentiell zu nahe am rechten Strassenrand – und versperren Velofahrenden die Velogasse! Auch Material- oder Maschinendepots von Strassenbaustellen werden zu häufig auf Velostreifen erstellt, als dass dies einfach Zufall sein könnte. Aus Reaktionen von PolizistInnen direkt auf der Strasse oder in Antwortmails wird ersichtlich, dass diese ausschliesslich Erfahrungen aus Auto- oder Motorradsicht haben, nicht aber als Velofahrende.

Zudem: spätestens seit dem 30. November 2008 ist Autofahren in der Stadt nur noch geduldet: die Stimmberechtigten haben sich für die 2000-Watt-Gesellschaft ausgesprochen – und dieses Ziel ist nicht zu erreichen mit dem heutigen Autoverkehr! Zukünftig wird das Velo noch viel bedeutender sein im Stadtverkehr! Darauf hat sich auch die Stadtpolizei einzustellen. Bis anhin treibt die Stadtpolizei durch ihre schlicht nicht nachvollziehbare Strategie die Aggressionseskalation munter voran – und macht das kluge Verkehrsmittel Velo in der Stadt unattraktiv!

Erste Fassung 18.8.2009