100 Milliarden Schweizer Franken: das tönt nach furchtbar viel Geld. economiesuisse behauptet, dass die Umsetzung der Energiestrategie in den nächsten 20 Jahren mindestens so viel Geld kosten werde. Derartige Aussagen haben nichts mit Energiepolitik zu tun, belegen aber die Inkompetenz von economiesuisse bei energiepolitischen Fragestellungen.
Zuerst ganz banal: Wer die Kosten der Energiestrategie 2050 vorrechnet, muss auch die Kosten der Nicht-Energiestrategie aufzeigen. Bis zum Beweis des Gegenteils gehe ich davon aus, dass die Nicht-Energiestrategie sogar wesentlich teurer kommt als die Umsetzung der Energiestrategie 2050. Es ist davon auszugehen, dass ein erheblicher Teil der von economiesuisse behaupteten Kosten so genannte Ohnehin-Kosten sind, also solche, die auch ohne Umsetzung der Energiestrategie erforderlich sind.
Wie sind diese 100 Milliarden Franken für die nächsten 20 Jahre einzuschätzen? Dabei handelt es sich um langfristige Investitionen mit 50 und mehr Nutzungsjahren. Solche Investitionen müssen amortisiert werden. Da es sich um Kosten der Kerninfrastruktur handelt, geht es dabei nicht um Eigenkapitalrenditen, wie sie in der Finanzwirtschaft erwartet werden, sondern um volkswirtschaftlich zweckmässige Realzinsen. Mit zweckmässigen Annahmen für Nutzungsdauer und Realzinssätzen ergeben sich jährliche Amortisationskosten von etwa 5 Milliarden Franken. Diese sind über den Stromverbrauch abzudecken.
Die Elektrizitätsstatistik der Schweiz weist für das Jahr 2013 eine Nettostromproduktion von 66.2 Milliarden Kilowattstunden aus. Die oben erwähnten jährlichen Amortisationskosten machen etwa 7.5 Rappen pro Kilowattstunde aus – da es sich einerseits um Ohnehin-Kosten handelt, andererseits es sowohl um Investitionen in Stromproduktion und Stromverteilung geht, kann dies direkt mit den heutigen Strompreisen verglichen werden. Das Haushalt-Produkt ewz.ökopower beispielsweise wird gemäss topten.ch mit 20.2 Rappen pro Kilowattstunde verrechnet. Es ist klar, dass die Wirtschaft zum Teil deutlich weniger für den Strom zahlt, häufig allerdings ohne ökonomische Berechtigung.
economiesuisse hängt deklarierterweise am Atomstrom und hat minimale Sympathien für Strom aus Wasserkraft – und gar kein Verständnis für dezentral produzierten Strom aus nachhaltig genutzten erneuerbaren Energien. Insbesondere Atomstrom zeichnet sich allerdings durch ausgesprochen lügende Stromkosten aus. Auch wenn die bekannt atomkritische Haltung der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES) zu berücksichtigen ist, geben die von der SES abgeschätzten Zahlen einen Hinweis auf die Verfälschung der Energiepolitik-Diskussion durch die aktuell lügenden Atomstrom-Preise. Die SES geht davon aus, dass die aktuellen Gestehungskosten der Atomstromproduktion 5 Rappen pro Kilowattstunde betragen. Würden Vollkosten für Stilllegung & Entsorgung, Versicherung, weitere Subventionen und die dadurch bewirkten Kapitalkosten abgeschätzt, geht die SES von zusätzlichen Kosten von 21 bis 54 Rappen pro Kilowattstunde aus! Ein erheblicher Teil dieser Kosten wird zukünftig real, spätestens dann, wenn AKWs stillzulegen sind und der Atommüll dauerhaft und sicher zu lagern ist. Angesichts der grossräumigen Verteilung von Jodtabletten, die die offensichtliche Unsicherheit der heutigen AKWs sichtbar machen, bleibt nur die Hoffnung, dass die nicht versicherten Risiken des AKW-Betriebs nicht doch noch von der Gesellschaft zu tragen sein werden.
Wenn also die economiesuisse vorgebliche Kosten der Energiestrategie 2050 als Argument verwendet, ohne die Kosten der Nicht-Energiestrategie 2050 zu erwähnen, ohne auf die Ohnehin-Kosten hinzuweisen, ohne die lügenden Kosten sowohl der Atomenergie als auch der fossilen Energien anzuführen, dann ist dies ganz einfach Inkompetenz und hat mit Energiepolitik, aber auch mit Vertretung der Interessen der Wirtschaft nichts zu tun.