Schon ziemlich grün, aber nicht so radikal – das ist schon lange das Anliegen von SP über FDP und CVP bis hin zur SVP. Die Grünliberalen sind so quasi die Manifestation. Diese Entwicklung stellt ein gesellschaftspolitisches Warnzeichen dar, welches nachhaltigkeits- und demokratierelevant ist.
Vorerst: ich betrachte sämtliche Parteien mit „grün“ im Namen als temporäre Erscheinungen. War die Entstehung der Grünen ein Hoffnungszeichen, sind im Hinblick auf die Nachhaltigkeit und die Demokratie die Grünliberalen geradezu ein Alarmzeichen. Ökologische Anliegen können nicht an eine (oder noch schlimmer) an zwei Parteien delegiert werden, sie haben die gesamte Gesellschaft zu durchdringen. Eine und erst recht zwei Parteien mit „grün“ im Namen behindern diesen Prozess erheblich.
Ökologische Anliegen müssen durch zivilgesellschaftliche Institutionen (die sogenannten NGO, also Nicht-Regierungsorganisationen, vertreten werden – auch wenn diese von SpenderInnenfranken abhängig sind, ist diese eine kleinere individuelle Barriere als der vierjährlich anzustrebende Wahlerfolg.
Denn: was für die $VP gilt, gilt auch für die Grünliberalen! Bereits mehrfach habe ich eine Aussage aus dem Tamedia-Politblog zitiert: In nahezu allen europäischen Regionen mit einem halbwegs intakten, gleichzeitig aber durch die Globalisierung bedrohten Wohlstand und einer starken Wertschöpfung auf KMU-Basis hat eine nationalistisch oder auch nur patriotisch orientierte Partei mit wertkonservativem Hintergrund ein Potenzial von rund 30 Prozent der Stimmen. Der hier angesprochene Wohlstand äussert sich in einem massiv übermässigen ökologischen Fussabdruck. Auch in der Schweiz ist man regelmässig daran, die Folgen dieses Wohlstandes mit Symptombekämpfung, vor allem zu Lasten der öffentlichen Hand, einzuschränken. Das heisst: ein erheblicher Teil der Mittel, die der Stadt übe Steuern einnimmt, dienen dazu, die auch ökologisch negativen Folgeerscheinungen des übermässigen Wohlstandes abzufedern. Wer nun – so auch die Grünliberalen – ausschliesslich auf der Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte schräubelt, bezweckt damit, dass die Einzelnen mehr Geld im Portemonnaie haben, statt sich an der Finanzierung der allgemeinen Aufgaben zu beteiligen. Letztlich sind also auch die Grünliberalen auf der Zechpreller-Schiene – auch die Grünliberalen erwarten, dass man Ökologie als Gratisdienstleistung geschenkt bekommt!
Wenn nun eine solche Partei Erfolg hat und ein gefliegter Politologe zum Schluss kommt, die Grünen seien zu links, so ist dies die Bestätigung dafür, dass die Demokratie aktueller Prägung jene bevorteilt, die den Wohlstand in der heutigen Form mit welchen Begründungen auch immer verteidigen wollen. Oder anders: die Demokratie ist bestens dazu geeignet, echte oder vermeintliche volkswirtschaftliche Wohlstandszunahme mehrheitsfähig zu verteilen. Zumindest derzeit ist die Demokratie nicht in der Lage, die Verminderung des ökologischen Fussabdrucks mehrheitsfähig zu machen. Oder anders: die Grünliberalen sind darum erfolgreich, weil sie im Grundsatz damit einverstanden sind, dass die Menschen in der Schweiz massiv über ihre Verhältnisse leben – obwohl bekannt ist, dass diese Lebensform zu Lasten anderer Weltgegenden und zukünftiger Generationen geht. Die Grünliberalen sind bereits mit ein bisschen weniger ökologisch schlimm zufrieden: nicht grün muss die Realität sein, sondern bloss es bitzeli grüner.
Dies äussert sich etwa in der Energiepolitikdiskussion: die Vision der 2000-Watt-Gesellschaft, welche auch den ökologischen Fussabdruck vermindern will, wird etwa in den Medien und in Teilen der Öffentlichkeit gebasht – die Ein-Tonnen-CO2-Gesellschaft, etwa in der Form der Zero Emission Architecture, welche den bisherigen immensen Energiekonsum ohne wesentliche Effizienzanstrengungen und sogar umfassend ohne Suffizienz einfach von den fossilen und nuklearen Energieträgern zu erneuerbaren Energien switchen will, hat ein gewaltiges Medienecho.
Nun mag dies attraktiver für die Stimmberechtigten sein als eine fundamental grüne, auch wachstumskritische Positionen. Diese Thematik äussert sich auch in einer beliebigen Zahl von Nachhaltigkeitsdefinitionen. Da Nachhaltigkeit nicht einfach messbar ist (vielleicht auch überhaupt nicht) ist das grünliberale superweiche Nachhaltigkeitsverständnis ebenso durch den Worthülsenbegriff Nachhaltigkeit mitgemeint wie die Forderung einer harten Nachhaltigkeit, die zwingend und so rasch als möglich eine deutliche Verminderung des ökologischen Fussabdrucks einfordert. Und da Politik ein eindimensionaler Prozess ist, also Wirkungs- und Erfolgskontrollen prinzipiell ausschliesst, ist inhaltliche Beliebigkeit das Markenzeichen der heutigen Politik.
Deshalb hat die Farbe „Grün“ aus allen Parteibezeichnungen zu verschwinden, idealerweise wird auch auf den Zusatz „Öko“ verzichtet. Etwas polemisch: die bescheidenen ökologischen Fortschritte der letzten Jahre wurden trotz den „grünen“ Parteien erreicht. Die zwingend erforderliche gesellschaftliche Umorientierung zur Anerkennung der Endlichkeiten dieses Planeten wurde auch mit den „grünen“ Parteien nicht erreicht.
Ganz eindeutig: die Wohlstandsgesellschaften mit ihrem übergrossen ökologischen Fussabdruck sind überhaupt nicht auf Nachhaltigkeitskurs – unabhängig von „grünen“ Wahlerfolgen und der Anzahl „grüner“ Parteien. Oder anders: Die gesellschaftlichen Mehrheiten geben dem hedonistischen „Lifestyles of Health and Sustainability“ (LOHAS), mit vielen Bezügen zu den Grünliberalen, viel Kredit. Demgegenüber hat der “Lifestyle of Voluntary Simplicity“ (LOVOS) nicht einmal eine politische Partei, die ihm entspricht (die Grünen sind es auch nicht).