Wenn am 8. Februar 2009 die Urnen in der Schweiz schliessen, geht einer der absurdesten Abstimmungsgänge der neueren Schweizerischen Geschichte zu Ende. Auch wenn es inhaltlich um einen Vertrag mit der EU geht, welcher das Thema Freizügigkeit regelt, wird schon lange nicht mehr um reale Inhalte diskutiert – dafür ist die Vorlage zu abstrakt und zu stark Verfahrensfragen verhaftet – sondern eigentlich geht es ausschliesslich um Image. Wie bei sämtlichen Abstimmungsfragen im Zusammenhang mit der EU geht es schlicht darum, wer in der Oeffentlichkeit beliebter und glaubwürdiger ist.
Ausgerechnet die Wirtschaft, welche bis anhin für Arbeitsweisen der Wirtschaft geworben hat, die nachweislich die aktuelle Finanzkrise unmittelbar herbeigeführt haben, erwartet, dass die Bevölkerung in der Frage des Verhältnisses zur EU der Wirtschaft folgt und ein Ja zur Freizügigkeit in die Urne legt. Die Medien, welche zwar gerne Sprachrohr für die SVP-Platitüden irgendwelcher Polit-Lautsprecher sind, folgen kritik- und distanzlos den Gehorsamkeitsparolen der anderen Parteien und der Wirtschaft, Demokratiedefizit der EU hin oder her.
Die Groteske um die Internet-Seite http://www.come-to-switzerland.com/ steht symbolisch für diese ausschliesslich an Image-Fragen orientierte Kampagnenflut. Dabei geht es – weil dies eh nicht ermittelbar ist im Internet, welches als anonymisierter Raum konstruiert ist – nicht um die Frage, ob es tatsächlich Beziehungen zwischen Lukas Reimann und dieser Internet-Seite gibt, sondern um die Wirkung von Medien wie dem Auto-Anzeiger, dem früheren Tages-Anzeiger. Am 3.2.09 wurde ein Tages-Anzeiger-Artikel publiziert, welcher in lausiger Sprache eine agentenartige Story erzählte, voll von Mutmassungen, unbewiesenen Verdächtigungen und dubiosen Beweisführungen, die auch zu den genau gegenteiligen Schlüssen führen könnten. Und dann machte am 4.2. die economiesuisse ein Inserat daraus, in welchem die dürftige Story des Tages-Anzeigers zur Tatsache wurde. Was dann wiederum im Tages-Anzeiger vom 5.2. zu einem nächsten Artikel führte, in welchem die Aussagen vom 3.2. deutlich relativiert wurden und insbesondere Unverständnis über den Wirbel zum Ausdruck gebracht wurde. Kann und darf man so naiv sein, nach nur zwei Tagen die auslösenden Elemente nicht mehr erkennen zu können oder wollen? Auf jeden Fall hat der Auto-Anzeiger, vormals Tages-Azeiger, einmal mehr meisterhaft Demagogie demonstriert.
Was bei mir einiges an Gedankenarbeit auslöst! Denn: vielleicht ist es ja so, dass der Tages-Anzeiger auch bei anderen Themen derart vorgeht – wahrscheinlich allein aus dem Kalkül der Auflagensteigerung – am Image sind nämlich Medien nicht interessiert, nur an spannenden Geschichten!
Nachtrag 6.2.09:
Egal, ob es sich bei der Seite http://www.come-to-switzerland.com (nicht mehr erreichbar, Anmerkung 30.10.2009) um Satire handelt, wie seit dem 6.2.09 vom Betreiber Markus Gäthke geschrieben wird, oder ob an den Agenten-Geschichtchen in den Medien etwas dran ist: der Satire-Entlarvungstext weist einerseits sehr deutlich auf die Fragwürdigkeit von ausschliesslich image-bezogenen Kampagnen hin, andererseits ist die Satire-Behauptung auch eine klare Warnung, schlicht nichts mehr als „Wahrheit“ zu betrachten – oder anders: selbstdenkende Menschen sind gerade im Internet-Zeitalter gefordert, was einmal mehr die Fragwürdigkeit von 400-Zeichen-Kommentaren unterstreicht z.B. im Autoanzeiger illustriert!
Als Demokrat und ökologisch denkender Mensch ist die hegemoniale EU für mich alles andere als erstrebenswert – die Rolle der EU beim Vernichtungskrieg der Israelischen Armee gegen Menschen und Infrastruktur im Gazastreifen illustriert treffend die verheerende Wirkung dieser Grossmachtallüren. Ich habe schlicht resigniert, im Image-Feld „Alle gegen die SVP“ inhaltliche Kritik an diesem Demokratie-Defizit Moloch EU anbringen zu können – es geht also am 8. Februar nur noch um Scheindemokratie; was man auf den Zettel schreibt, spielt so oder so keine Rolle.
Erste Version 5.2.09