Innovation – für die Gesellschaft von morgen und übermorgen

 

Innovation – eines der vielen aktuellen Worthülsenworte. Der Wikitext zu „Innovation“ hält dies treffend fest: der Begriff wird unspezifisch im Sinne von neuen Ideen und Erfindungen und für deren wirtschaftliche Umsetzung verwendet. Gemäss einer aktuellen EU-Studie ist die Schweiz „Ideenweltmeister“ oder steht gemäss einer KOF-Studie an zweiter Stelle der Rangliste der innovationsstarken Länder in Europa. Da solche Ranglisten durch die Kriterienauswahl vorbestimmt sind, ist es ebenso wahrscheinlich, dass die Schweiz vor allem bei den „unausgereiften Innovatiönchen“ (Zitat HSG-Geschichtsprofessor Caspar Hirschi) führend ist, welche zu einer Standortpolitik passt, die stark auf Kosten anderer geht. Welche Innovationen braucht die Gesellschaften von morgen und übermorgen?

Könnte in der Schweiz heute die Jungfraubahn realisiert werden? Mit diesem Bezug zur Gründerzeit (wie war es wohl mit den Gründerinnen) stellen viele Menschen die Frage nach der Innovationsbereitschaft dieses Landes. Nur: die Frage ist schlicht nicht relevant. Die Jungfraubahn ist seit 1912 in Betrieb, als Basis für die aktuelle Innovationsdiskussion taugt dieses Beispiel nicht – und die Wiederholung einer bereits vorhandenen Innovation kann zwar ebenfalls innovative Aspekte enthalten, ist aber in der Grundidee nicht mehr innovativ. Die (Luftseil-)Bahn zur Station Klein Matterhorn, 1979 eröffnet, illustriert zudem, dass vergleichbare Projekte möglich sind, wenn auch mit anderen Lösungsansätzen.

Das oben stehende Wikipedia-Zitat verknüpft „Innovation“ mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Kriterium für diese Entwicklung ist das BIP. Nicht erst seit den Arbeiten der Enquête-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Deutschen Bundestages ist klar, dass es neue gesellschaftliche Paradigmen braucht, der Titel „Lebensqualität soll Ziel des Wirtschaftens werden“ der Mitteilung der Enquête-Kommission ist programmatisch. Dies ist auch der Hintergrund der Aussage von Professor Caspar Hirschi: das Nachhaltigkeitsmonitoring MONET des Bundes, aber auch Indikatoren wie der ökologische Fussabdruck dokumentieren, dass die aktuelle Lebens- und Wirtschaftsweise der SchweizerInnen zulasten der Menschen in anderen Weltgegenden und zulasten zukünftiger Generationen erfolgt – die Schweiz ist sehr deutlich entfernt von einer nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise!

Die Gründerzeit steht am Anfang der Entwicklung, die zur heutigen nicht-nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise, welche zulasten anderer Weltgegenden und zulasten zukünftiger Generationen geht, geführt hat. Die Nachgeborenen dürfen die Leistung der Erbauer der Jungfraubahn würdigen und auch geniessen – aber immer auch als Hinweis darauf, dass vieles von dem, was machbar ist, nur beschränkt oder gar nicht einen Beitrag zur Gesellschaft von morgen und übermorgen leistet! Dies geisst aber auch: Innovation hat nicht nur mit Wirtschaft zu tun, sondern ausgeprägt mit gesellschaftlichen Veränderungen. Auch wenn dies letztlich eine Frage nach „Huhn und Ei“ ist: es wird spannend zu sein, wie die HistorikerInnen die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 20 bis 30 Jahre (Stichwort Informations- und Spassgesellschaft) beurteilen werden. Sind diese eine Folge der technischen Innovationen (Internet, Social Media, mobile Kommunikation) oder haben die gesellschaftlichen Veränderungen diese Innovationen benötigt?

Professor Caspar Hirschi empfiehlt als Innovationsstrategie mehr „ungeplantes Tüfteln„. Er ortet die früheren echten und Quasi-Monopole in vielen Bereichen der Wirtschaft als Freiräume, die solches ungeplantes Tüfteln ermöglicht haben. Das neue Tüfteln, die neuen Innovation erfordern ganz neue Denkmodelle: wie kann Lebensqualität trotz Abnahme des BIP ermöglicht werden? Diese Frage ist derzeit politisch noch weitgehend tabuisiert, auch wenn vielen Menschen sehr klar ist, dass „all you need is less“ zwingend ist, dass LOVOS das Umfeld schafft, um das Pröbeln in eine zukunftsorientierte Richtung zu lenken.

Nicht überall, wo derzeit das Unwort der „Neidgesellschaft“ verwendet wird, ist dies berechtigt. Ausgehend vermutlich von den Plattheiten der Bush- und Thatcher-Politiken ist eine neue vulgäre Form der Prädestinationsauffassung (ich habe ein Recht darauf, dass ich das tue, was ich tue, und dass es mir gut geht) feststellbar. Viele haben den Eindruck, dass es anderen unberechtigterweise besser gehe als ihnen – unabhängig davon, ob dies zutrifft – und dass sie selbst es wesentlich strenger hätten als andere. Dies lässt sich etwa an den Fleisch-, Tabak- und AutokonsumentInnen festmachen, aber auch an den KEV-Süchtigen. „Innovationsbremse“ für derartige Haltungen ist eine übermässig sanfte Einschätzung!

Echte Innovation mit Blick auf die Gesellschaft von morgen und übermorgen ist eine erhebliche Herausforderung. Gerade mit dem Wissen um den häufig über die Ökologie hinausgehenden Rucksack der Innovationen der Gründer- und BIP-Zunahme-Zeiten sind Wege zu suchen, um sowohl das spielerische Pröbeln als auch die Beweislastumkehr (Es ist zu zeigen, dass Innovationen einen positiven Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten – statt wie heute durch Dritte nachzuweisen, dass negative Entwicklungen auf „Innovationen“ zurückzuführen sind) zu ermöglichen. Das bedingungslose Grundeinkommen für alle stellt dabei eine wesentliche Rahmenbedingung dar. Die 2000-Watt-Gesellschaft, konkretisiert als Energiepolitik von unten, ist ein wichtiger Baustein für Innovationen für die Gesellschaft von morgen und Übermorgen!


Dieser Beitrag hat mit Absicht einen Bezug zum 30-Jahr-Jubiläum der Schweizerischen Grünen – siehe auch „Zornigere Grünere„.