Nicht erst seit der Wahl des iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad sind die globalen, weltpolitischen Diskussionen über das iranische Atomprogramm sehr eigenartig.
Die Geschichte der Atomkraft – oder der Kernkraft je nach politischem Lager – besteht immer aus den zwei Teilen: „friedliche Nutzung“ und „Massenvernichtungswaffen“. Sehr klar ist, dass beide Teile unnötig sind. Es wäre gut, die Menschheit könnte sich dazu entschliessen, die ganzen Manipulationen an Atomkernen aufzugeben und diese eindeutig als Fehlentwicklung zu bezeichnen!
Massenvernichtungswaffen stehen symbolisch dafür, wie die Menschheit mit Konflikten umgeht. Nach wie vor ist ein grosser Teil der Menschheit der Ansicht, Konflikte dürften und könnten mittels Gewalt gelöst werden. Dabei stellt sich der amerikanische Präsident George W. Bush auf die gleiche Stufe wie jene, die er als Terroristen und Schurken bezeichnet.
Genauso ist es mit der sogenannt friedlichen Nutzung der Atomenergie: es gibt schlicht keine Notwendigkeit, diese schmutzige, rückständige Technologie mit der konstanten und nicht-durchbrechbaren Verbindung zur Massenvernichtungswaffe Atom-Bombe weiterhin zu betreiben. Atomenergie ist weder geeignet, einen Beitrag zur Verminderung des menschgemachten Klimawandels zu leisten, noch handelt es sich dabei um eine selbst in der weichsten Definition nachhaltige Energieversorgungsmöglichkeit. Dies gilt sowohl auf globalem Niveau als auch auf nationalem Niveau, beispielweise Schweiz, mehr dazu.
Die sogenannten Industriestaaten halten aus finanzmarktlichen und unternehmenspolitischen Gründen an der Atomenergie fest: die klassische Wirtschaft betrachtet Energien als ganz normale Wirtschaftsgüter, und setzt daher auf eine weitere Steigerung des Energieverbrauchs. Nur damit lässt sich die Erstellung von extrem teuren Grossanlagen ökonomisch rechtfertigen. In einem Markt, der mit der Energieeffizienz Ernst macht, sind derartige Investitionen unsinnig, weil es attraktiver ist, einerseits in Effizienztechnologien, andererseits in eher kleine, dezentrale und einfache Technologien zu investieren.
Auch in den EU-Staaten Frankreich, Deutschland und Grossbritannien sind diese Fakten bestens bekannt. Diese Länder sind – wie die meisten eher überentwickelten Industriestaaten – weit davon entfernt, eine Energieversorgung zu betreiben, die einerseits ausschliesslich auf erneuerbare Quellen aus dezentraler Nutzung beruht und andererseits der Energieeffizienz das nötige Gewicht zukommen lässt. Eine solche Energieversorgung ist machbar, wobei Energien pro Einheit in der Tendenz mehr kosten (was gleichzeitig zu einer verstärkten Förderung der Energieeffizienz führt). Auf den ersten Blick sieht es global danach aus, als ob der übermässige Wohlstand in den Industriestaaten auch von Elementen wie der Atomenergie-Nutzung abhängt. Wenn nun Länder wie Frankreich, Deutschland und Grossbritannien, deren Energieversorgung zu einem deutlichen Anteil von Atomenergie abhängt, dem Iran die Nutzung der Atomenergie verbieten wollen, so ist dies eine ausgesprochen neo-imperialistische Haltung. Zum Vergleich: Stromverbrauch „Nordwesteuropa“ um die 6000 kWh pro Person und Jahr (Angabe für das Jahr 2000), Iran 1203 kWh (für das Jahr 2004). Selbst wenn der Stromverbrauch in Iran in der Zwischenzeit angestiegen ist, ist davon auszugehen, dass der iranische Pro-Kopf-Stromverbrauch nach wie vor um Faktoren unter jenem in Nordwesteuropa liegt.
Iran hat mehrfach deklariert, dass es beim iranischen Atomprogramm ausdrücklich nur um die Sicherstellung der Stromversorgung gehe. Wenn Frankreich, Deutschland und Grossbritannien die iranischen Absichten respektieren, gibt es eine relativ einfache Lösung für das internationale Problem „iranisches Atomprogramm“:
Es braucht ein glaubwürdiges Projekt, welches aufzeigt, wie die iranische Stromversorgung in den nächsten Jahren deutlich gestärkt werden kann:
- Ein politisches Programm für die nachhaltige Energieversorgung des Irans, das sich an der 2000-Watt-Gesellschaft orientiert (dreimal tieferer Energieverbrauch vorwiegend durch Effizienz und Effektivität im Vergleich zu Nordwesteuropa). Ein solches Programm sollte sich innerhalb einer Generation realisieren lassen.
Dazu gehört auch ein Programm, um sowohl den Menschen in Nordwesteuropa als auch in Iran klar zu machen, dass der Stromverbrauch in Westeuropa übermässig ist und dass es für Iran keinen Sinn macht, den Verschwendungslevel von Nordwesteuropa zu erreichen. - Ein Programm zur Stromproduktion für den Bedarf des Irans ausschliesslich aus erneuerbaren Quellen aus dezentraler Nutzung, inklusive Sicherstellung des Investitionsbedarfs.
Aus einem solchen Programm lassen sich nützliche Aussagen auch für die Energiepolitik der Staaten in Nordwesteuropa ableiten. - Eine verbindliche Zusage der Staaten nicht nur in Nordwesteuropa, mittel- bis längerfristig auf die Nutzung der Atomenergie zu verzichten. Die rot-grüne Regierung in Deutschland hat klare Vorgaben gemacht, es ist einfach zu hoffen, dass die schwarz-rote Regierung daran nicht rüttelt (soviel zur Glaubwürdigkeit von Deutschland als Verhandlungspartner des Irans…).
Diese Aussagen werden unterstützt durch die Dissertation „Szenarien eines diversifizierten Energieangebots in OPEC-Staaten am Beispiel Irans – Strategien eines auf klimaschonenden
Energieträgern basierenden Umstiegs“ von Nikolaus Supersberger am Wuppertal-Institut. Im Reader „Der unnötige Atomkonflikt in Iran – Größere Chancen durch alternativen Energiepfad“ wird unter anderem festgehalten:
Iran ist eines der größten Erdölförderländer und verfügt über riesige Erdgasreserven – und hat doch ein Energieproblem: Unter Trendbedingungen steigt der iranische Energieverbrauch weiter stark an. Daher wird Iran bald zu einem Energieimporteur: Der Wandel von einem der größten Ölexporteure zu einem Importeur hätte gravierende Folgen für die Weltölmärkte und auch auf Irans Handelsbilanz.
Es gibt Lösungen:
- Kernenergie ist in Iran für eine langfristig sichere Energieversorgung nicht notwendig – sie ist verzichtbar. Systemzwänge zu ihrem Einsatz liegen nicht vor.
- Die außerordentlich großen Potenziale zur Nutzung erneuerbarer Energien können eine vollregenerative Stromerzeugung in Iran gewährleisten.
- Der Einsatz erneuerbarer Energien und von Energieeffizienz würde die Ölexporte Irans sowie der anderen OPEC-Staaten deutlich strecken. Dies hätte umfangreiche Folgen für die internationalen Energiemärkte und große positive finanzielle Effekte auf die Staatshaushalte der Exporteure.
Erste Version: 15.01.2006, geändert 28.10.2007