Zwei spannende Aspekte werden in letzter Zeit im Zusammenhang mit dem öffentlichen Verkehr immer wieder diskutiert:
- wie soll der öffentliche Verkehr mit den Spitzenbelastungen umgehen? Ist es angezeigt, in den Spitzenzeiten höhere Billettpreise zu verlangen?
- Braucht es überhaupt Billettautomaten? Wäre es nicht besser, wenn einfach alle Reisenden ein GA (Generalabonnement) hätten?
Haben Sie schon mal versucht, an einem Billettautomaten insbesondere bei der SBB oder dem ZVV ein Billett zu lösen? Falls Sie dies demnächst vorhaben, rate ich Ihnen dringend, etwa eine Stunde vor Abfahrt des Zuges am Bahnhof zu sein – und ausreichend Kleingeld respektive exakt die richtigen Noten mit dabei zu haben.
Sonst riskieren Sie, die Abfahrt des Zuges zu verpassen oder ohne gültigen Fahrausweis bei einer Kontrolle angetroffen zu werden. Und Gnade ist nicht zu erwarten – die Sprecherin des Zürcher Verkehrsverbundes etwa behauptet, wer kein Billett habe, habe absichtlich kein Billett gewollt – und die SBB sagen, „jeder sei selbst dafür verantwortlich, genügend Zeit für den Billettkauf einzuplanen.“ – Nur konnte noch niemand von den SBB sagen, was genügend Zeit genau heisst – aus eigener Erfahrung weiss ich allerdings, dass „genügend“ mindestens eine Viertelstunde bedeutet – und in Ausnahmefällen auch deutlich mehr (z.B. alle Automaten defekt oder in Sanduhr-Position, keine Datenverbindung, Postcard-Zugang nicht verfügbar und so weiter und so fort).
Spätestens seit dem glücklicherweise abgebrochenen EasyRide-Versuch ist bekannt, dass die SBB davon ausgehen, dass alle Reisenden ein Generalabonnement haben sollten. In den Denkmodellen der Billett-PlanerInnen kommen gelegentlich mit der Bahn Reisende schlicht nicht vor, obwohl eine solche Verhaltensweise für ökologisch bewusste Menschen eigentlich Pflicht ist! Denn: wer das GA so nutzt, dass es sich gegenüber Einzeltickets oder Streckenabonnements lohnt, ist schlicht zu viel unterwegs. Dies bedeutet, dass allein für die ÖV-Mobilität etwa 1000 Watt Primärenergie, also die Hälfte des zukünftig zulässigen Verbrauches, benötigt werden! Ein zukunftsfähiges Verkehrsverhalten verlangt, dass die alltäglichen Wege für Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Einkaufen so kurz sind, dass sie auch zu Fuss oder mit dem Velo bewältigt werden können! Das tägliche ÖV-Pendeln beispielsweise von Zürich nach Bern oder auch umgekehrt liegt in der 2000-Watt-Gesellschaft nicht mehr drin (ausser der öffentliche Verkehr macht nochmals einen Effizienzsprung beim spezifischen Energieverbrauch um mindestens den Faktor 5!). Da liegen also nur gelegentliche kürzere Fahrten und selten längere Fahrten drin! Der öffentliche Personenverkehr hat also aus ökologischen Gründen dafür zu sorgen, dass zukünftig GelegenheitsbenutzerInnen auf einfache Art zu ihren Fahrausweisen kommen.
P.S.1. Wenn insbesondere Arbeiten und Wohnen näher zusammen liegen sollen, hat dies erhebliche Auswirkung auf die Raumplanung und den Städtebau, aber auch auf die Notwendigkeit von qualitativ hochwertigen Naherholungsgebieten in der Nähe der Siedlungszentren.
P.S.2. und der Vollständigkeit halber: wenn lange Pendelstrecken mit dem ÖV nicht zukunftsfähig sind, so gilt dies erst recht für solche, die mit dem individuellen, motorisierten Verkehrsträger (heute Auto genannt), zurückgelegt werden.
Staus auf Autobahnen und Quartierstrassen, stehende Passagiere in Schnellzügen, S-Bahnen, Trams und Bussen zu den Stosszeiten weisen letztlich auf den gleichen Sachverhalt hin: massive Ortsveränderungsspitzen sind mit keinem Verkehrssystem zu bewältigen, unabhängig von der Ausbauintensität! Sowohl Unterwegsseiende als auch VerkehrsleistungsanbieterInnen haben alles daran zu setzen, solche Spitzenbelastungen zu vermindern – womit sich der Kreis schliesst: auch zur Verminderung der so oder so nicht bewältigbaren Spitzenbelastung gilt es, insbesondere die alltäglichen Wege für Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Einkaufen so kurz wie möglich zu halten.
Eine solche Strategie führt dazu, dass es ausreichend Spielraum für beispielsweise Ferienreisen mit längeren Reisestrecken gibt, auch diese selbstverständlich vorteilhaft mit der Bahn statt mit Auto oder gar Flugzeug!
Aus 2kwblog.umweltnetz.ch
Nachtrag 14.1.2010
Der öffentliche Verkehr, damit insbesondere der öffentliche Verkehr, plant auf Dezember 2010 eine massive Erhöhung der Billettpreise. Auf den ersten Blick ist dies angesichts der massiven Subventionen diverser Staaten für die Automobilwirtschaft oder den zelebrierten Autobahneröffnungen absurd. Bei einem zweiten Blick bestätigt diese Absicht der ÖV-Verantwortlichen allerdings die hier geäusserten Aussagen zur Verträglichkeit des öffentlichen Verkehrs mit der 2000-Watt-Gesellschaft.
Selbst mit diesen Erhöhungen bleibt der öffentliche Verkehr deutlich billiger als der MIEV oder motorisierte Individualverkehr – wer wirklich betriebswirtschaftlich rechnet, hat immer noch überzeugende Argumente für den Verzicht auf das Auto.
Aber: das Signal dafür, weniger Verkehrsleistungen zu beanspruchen, ist klar gesetzt. Wenn der öffentliche Verkehr mehr Verkehrsleistungen anbietet, heisst dies nicht automatisch, dass ich mehr davon beanspruche – analog zu den Ladenöffnungszeiten: auch wenn die Läden länger offen sind, kann ich deswegen nicht mehr als das verfügbare Geld verkonsumieren. Und doch begründen die ÖV-Verantwortlichen die Preiserhöhung genau mit diesen Mehrleistungen. Dies hat damit zu tun, dass es immer schwieriger wird, mit einer Steigerung des Angebotes neue KundInnen für den öffentlichen Verkehr zu gewinnen – nicht ÖV-überzeugte potentielle Neu-KundInnen machen nämlich eine banale Aufwandabschätzung (hat nichts mit Kosten-/Nutzen-Rechnung zu tun, denn kostenmässig ist diese Frage immer sehr eindeutig zugunsten des ÖV beantwortet): wie umständlich ist die ÖV-Benutzung im Vergleich zur Möglichkeit „Von-Tür-zu-Tür“ mit dem MIEV. Letztlich müssen die aktiven ÖV-KundInnen die Marktakzeptanz für potentielle NeukundInnen schaffen – und dies ist nur dann möglich, wenn das potentielle Angebot auch für bestehende KundInnen zumindest virtuell verbessert wird.
Nachhaltigkeit oder 2000-Watt-Tauglichkeit im Verkehr wird nur erreicht, wenn die Verkehrsnachfrage insgesamt vermindert werden kann – siehe auch die Aussage von Udo J. Becker, Verkehrsökologe, Dresden: „Um die Mobilität zu erhalten, muss der Verkehr vermindert werden”.
1. Fassung: 10. Dezember 2008