Um auch zukünftigen Generationen ein gutes Leben zu ermöglichen, müssen insbesondere Städte klimafit(ter) werden. Bäume können dazu einen Beitrag leisten. Wenn in Städten Bäume gefällt werden sollen, braucht dies gute Erklärungen.
Am Neumühlequai in der Stadt Zürich muss die Kanalisation erweitert werden. Ιn diesem Bereich wird eine der Zentralen von «Schutz und Rettung» betrieben. Damit die Blaulichtfahrzeuge möglichst unverzögert zu Notfalleinsätzen starten können, braucht es in der Bauphase eine zusätzliche Fahrspur. Die derzeit bevorzugte Variante erfordert, dass die bestehende Baumallee mit zahlreichen Rosskastanienbäumen gefällt wird (Medienmitteilung Stadt Zürich vom 28. Juni 2024).
Verständlich, dass dies nicht verstanden wird und Reaktionen auslöst. Der Verein Klimastadt Zürich etwa hat eine Petition gestartet, die innerhalb von drei Wochen bereits über 8000 Unterschriften erreicht hat.
Baumfällungen – trotz Fachplanung Hitzeminderung
Bäume haben bei der städtischen «Fachplanung Hitzeminderung» (siehe dazu Statusbericht zur Umsetzungsperiode 2020–2023) einen hohen Stellenwert.
Unverständlicherweise wird in der oben verlinkten Medienmiteilung NICHT DIREKT auf diese «Fachplanung Hitzeminderung» hingewiesen, sondern nur indirekt – so funktioniert es nicht wirklich, Zitat:
«… viele der bestehenden Bäume [sind] in einem schlechten Zustand oder haben das Ende ihres Lebensalters erreicht. Zudem entsprechen die Baumscheiben und der verfügbare Wurzelraum nicht mehr den heutigen Standards für ein optimales Wachstum.
Die Ersatzpflanzung ermöglicht es, durch eine Vielzahl von Massnahmen, wie die gezielte Zuführung von Regenwasser oder die optimierte Versorgung mit Baumsubstrat die Wachstumsbedingungen umfassend zu verbessern und eine langlebige Baumreihe zu entwickeln. Die Kastanienbäume werden durch Baumarten ersetzt, die widerstandsfähiger gegenüber den klimatisch bedingten Veränderungen sind.»
Klimafitte Stadt – nicht jeder Baum hilft
Bei der oben verlinkten Petition werden verschiedene Fakten ignoriert oder es wird das Gegenteil behauptet. Ich wohne seit bald 30 Jahren in der Stadt Zürich und ich kenne diese Allee bestens. Zudem hat mein Grossvater nach meiner Geburt eine Rosskastanie Pflanzen lassen – dieser Baum steht immer noch!
Ich habe in den letzten Wochen mehrfach den Neumühlequai besucht.
Einige Aspekte dazu:
- Rosskastanien werden in keiner Liste mit klimafitten Bäumen erwähnt; mit ein Grund ist die beschränkte Trockenheitsresistenz.
- Wie bereits von der Stadt in der Medienmitteilung erwähnt, gerade auch mit Bezug zur Trockenheitsresistenz: Die (sommerlichen) Bedingungen sind für Rosskastanien bereits heute nicht ideal. Somit ist nicht davon auszugehen, dass das etwa in Wikipedia erwähnte Alter von bis zu 300 Jahren erreicht werden kann. Somit haben leider einige der heute stehenden Bäume bereits das Ende der Lebensdauer erreicht.
- Wenn Bäume zur Hitzeminderung beitragen sollen, müssen sie so vital wie möglich sein. Ein kurzer Spaziergang auf dem Neumühlequai (zwischen Dynamo und Walchebrücke, mit 30 Rosskastanien, 13 Neuplanzungen verschiedener Arten und 8 Lücken) zeigt allerdings, dass die Rosskastanienbäume eher darben. Zwei Bildaufnahmen vom 27. Juli 2024:
- Als weiterer Hinweis: 2023 wurden sechs junge Bäume im Abschnitt Dynamo bis Walchebrücke gepflanzt. Rosskastanien gehören nicht dazu! Dies zeigt, dass die Hitzeminderung auch bei der städtischen Baumplanung bereits heute von Bedeutung ist, im Wissen um die lange Zeit von der Pflanzung bis zur hitzemindernden Wirkung.
- Das Darben der Rosskastanien hängt auch mit den Kastanien-Miniermotten zusammen. 15 Nistkästchen (zwischen Dynamo und Walchebrücke) wurden 2018 durch das Projekt «Meisen gegen Rosskastanien-Miniermotte» angebracht – Ende Juli 2024 sind die Spuren der Miniermotten nach wie vor erkennbar.
Somit ist leider davon auszugehen, dass die Rosskastanien am Neumühlequai nicht wirklich zur klimafitten Stadt beitragen. Das passt auch zu den Aussagen im EΤΗ-Zukunftsblog-Beitrag «Wie wir unsere Städte kühlen können», zum Beispiel «Bäume sind nicht die Ultima Ratio» und «… vor allem die langfristige Eindämmung des Klimawandels durch die Reduktion von Treibhausgasemissionen – wird es uns ermöglichen, in den Städten die Luft- und Oberflächentemperaturen zu senken und den Temperaturkomfort zu verbessern.»
Wie weiter?
Auch für die Anpassung an den Klimawandel/die Klimakrise braucht es «schnelle, weitreichende und beispiellose Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft». Die Förderung und Erhaltung klimafitter Baumarten – die Rosskastanie gehört leider nicht dazu! – ist von grosser Bedeutung.
Wir alle wissen, dass im städtischen Untergrund sehr viele Infrastruktureinrichtungen vorhanden sind. An vielen Orten beanspruchen diese Infrastrukturen den potentiellen Wurzelraum klimafitter Bäume! Hier ist wahrscheinlich eine neue Strategie erforderlich, um im städtischen Untergrund Infrastrukturen zu realisieren, die den dringend nötigen klimafitten Bäumen genügend Raum ermöglichen.
Ob es allenfalls möglich ist, bereits grossgewachsene klimafitte Bäume zu transportieren und im für sie bestimmten Wurzelraum neben den Infrastukturen zu pflanzen?
Neben klimafitten Bäumen braucht es unzählige «schnelle, weitreichende und beispiellose Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft». Eine deutlich autoreduzierte Stadt – zum Beispiel ein bis auf die Blaulichtfahrzeuge autofreier Neumühlequai – wäre da sicher sehr zielführend.