Der 2000-Watt-Gesellschaft-Basher Auto-Anzeiger (früher Tages-Anzeiger) behauptet: „Die Zürcher müssen verzichten lernen“. Einmal mehr ein unqualifizierter Artikel über die Zukunftschancen der Menschheit! Dies ist allerdings nicht anders zu erwarten von einer Zeitung, die von der Auto- und Atomlobby abhängig ist!
Die 2000-Watt-Gesellschaft ist eine nachhaltigkeitspolitische Vision – mit einer sehr langen Sichtweise. Mindestens 40 Jahre – exakt 42 Jahre seit der Volksabstimmung vom 30. November 2008, also einen eigentlichen Zürcher Marathon lang – soll es gemäss Gemeindeordnung dauern, bis das Ziel von einer Tonne CO2 erreicht wird! Wird berücksichtigt, dass es im wesentlichen um die Beeinflussung von etwas mehr als zwei Prozent des Zürcher BIP geht, wird klar, wie viel im Umfeld in dieser langen Zeit erfolgen kann, dass die nicht energie- und treibhausgasrelevanten Randbedingungen beträchtliche Veränderungen durchmachen können.
Die Vision der 2000-Watt-Gesellschaft ist ein Handlungsszenario, also ein Aussage, was passiert, wenn diese oder jene Handlung erfolgt oder eben nicht.
Als ein kleines Beispiel: bereits heute hat die Strombilanz der vom Elektrizitätswerk der Stadt Zürich ewz versorgten StromkonsumentInnen auf Stadtgebiet eine deutlich bessere 2000-Watt-Tauglichkeit als das Stromangebot der Elektrizitätswerke des Kantons Zürich. Das ewz-Stromangebot weist für das Jahr 2008 einen AKW-Strom-Anteil von 27.8 Prozent aus; bei den EKZ sind dies 74.7 Prozent. Der für die 2000-Watt-Gesellschaft-Beurteilung massgebliche Primärenergiefaktor des Strommixes liegt in der Stadt Zürich mehr als 40 Prozent unter jenem im EKZ-Versorgungsgebiet. Nun möchte der SVP-Regierungsrat Markus Kägi als AXPO-Verwaltungsrat noch mehr Atomkraftwerke bauen, was den Primärenergiefaktor des EKZ-Stroms nochmals verschlechtern würde. Kein Wunder, erachtet Herr Kägi die 2000-Watt-Gesellschaft als „unrealistisch„. Nun gibt es allerdings keinen Zwang, neue Atomkraftwerke zu bauen, es gibt genügend deutlich nachhaltigere Alternativen. Im übrigen: werden ökologische Stromprodukte angeboten (und das tun die EKZ nicht wirklich), werden sie auch nachgefragt! Da der Kanton Zürich – und mit ihm SVP-Regierungsrat Markus Kägi – an der Atomenergie gegen alle Vernunft festhalten will, ist Herr Kägi, sind die Fachleute der Baudirektion schlicht keine relevanten Auskunftspersonen zum Thema 2000-Watt-Gesellschaft – und Tertiärliteratur wie im Auto-Anzeiger wird dadurch zu Makulatur.
Ebenso ungeeignet als Auskunftsperson ist der Erdöl-Lobbyist Rolf Hartl. In der 2000-Watt-Gesellschaft spielen nämlich fossile Brenn- und Treibstoffe – wenn überhaupt – eine völlig unbedeutende Rolle, neben dem Klimaschutz kommt beispielsweise der Peak Oil als gewichtiges Argument dazu. Es ist tatsächlich so, dass selbst ein ökologisch bewusster Lebensstil – insbesondere wegen den ökologischen Rucksäcken des Konsum und der Infrastruktur – heute die Zielvorgaben der 2000-Watt-Gesellschaft nicht erreicht. Wer solches erwartet, hat sich noch nie mit den tatsächlichen Inhalten der 2000-Watt-Gesellschaft beschäftigt. Nichtsnutzige Polemik gegen eine Zukunftsvision – und dafür bietet der Auto-Anzeiger wertvollen redaktionellen Raum!
Vor 40 Jahren wäre es kaum möglich gewesen, zu bezeichnen, was heute als „wesentliche Annehmlichkeit“ gilt. Zukunftsforscher Matthias Horx sagt dazu: „Utopische Zukunft wirkt heute retro“. Wie Umfragen und Wahlergebnisse zeigen, dürfte zu dieser Frage selbst im aktuellen Zustand keine einheitliche Meinung zustande kommen. Als ein kleines Beispiel: für mich würde es eine erhebliche Einschränkung bedeuten, mit einem Auto die Strecke Zürich-Bern (und retour) befahren zu müssen. Wenn ich dies (selten und vor allem aus geschäftlichen Gründen) tue, ist die Reise per Bahn aus Komfortgründen immer erste Wahl. Was als komfortabel gilt, ist individuell und im wesentlichen durch Marketing-Zwänge bestimmt. Denn: wer bereits ein teures Auto besitzt, wird in der Regel gezwungenermassen eine andere Verkehrsmittelwahl treffen!
Ein weiteres Beispiel: die pro Person beanspruchte Wohnfläche. Diese wird zu einem beachtlichen Teil bestimmt durch ältere Menschen, die nach wie vor in den Wohnungen ausharren, in der sie vor langen Jahren als Familie mit Kindern gelebt haben. Für viele wäre es eine durchaus erwünschte Erleichterung, endlich in eine kleinere Wohnung (selbstverständlich in der Nähe der bisherigen Wohnung) umziehen zu können – wenn es denn diese überhaupt gibt. Ähnliches gilt für die Zwangsmobilität auf dem Arbeitsweg – tägliches Pendeln über riesige Distanzen kann kaum ernsthaft als Annehmlichkeit bezeichnet werden.
Wenn es um heutige und zukünftige Annehmlichkeiten geht, ist zudem zu beachten, dass derzeit die durchschnittliche Schweizerin, der durchschnittliche Schweizer auf einem massiv übergrossen ökologischen Fuss(-abdruck) lebt. Wie das oben stehende Beispiel mit dem Primärenergiefaktor im Vergleich des Strommixes von EKZ und ewz zeigt, lässt sich ein beachtlicher Teil dieses Fussabdruckes durch effiziente Energienutzung und durch den Einsatz erneuerbarer Energien vermindern.
Wie sehr häufig wird der Verkehr in diesem Auto-Anzeiger-Pamphlet ausschliesslich emotional betrachtet. Dabei ist ziemlich offensichtlich, dass verschiedene Aspekte des Verkehrsverhaltens definitiv als Sackgasse bezeichnet werden müssen. Dass nur etwas mehr als zehn Prozent der eingesetzten Primärenergie beim Auto tatsächlich dem Vortrieb dienen, dürfte beispielsweise dazu gehören; auch der heutige Flugverkehr muss definitiv als nicht nachhaltig bezeichnet werden.
Es ist durchaus davon auszugehen, dass die heutigen sehr largen Vorschriften im Umweltbereich verstärkt und konsequenter umgesetzt werden müssen. Es fällt beispielsweise auf, dass professionelle Liegenschaftenbewirtschafter ihre Bauten nachhaltiger bewirtschaften als die meisten Privaten. Nicht weiter verwunderlich: diverse Untersuchungen zeigen nämlich, dass die meisten GebäudebesitzerInnen überfordert sind, wenn es um eine fachgerechte und langfristige ausgerichtete Planung des Umgangs mit ihrer Liegenschaft geht. Objektiverweise – Stichwort Sanierungsstau – werden auch in der Schweiz Jahr für Jahr erhebliche Liegenschaftswerte unwiederbringlich vernichtet. Auch wenn es dabei um Privateigentum geht, wird volkswirtschaftlich betrachtet Substanz vernichtet: der Liegenschaftenmarkt ist alles andere als nachhaltig! Ein solcher Markt mit sehr vielen AkteurInnen lässt sich nur über exakte gesetzliche Vorgaben beinflussen – beispielsweise durch ein energetisch motiviertes Sanierungsobligatorium. Wer wie SVP-Regierungsrat Markus Kägi zwingend erforderliche gesetzliche Massnahmen als unerwünscht bezeichnet, hat sich noch nicht ernsthaft mit Ursachen und Wirkungen sowohl im Liegenschaftenmarkt wie beim Klimaschutz beschäftigt – warum eigentlich erhalten solche Personen Platz und Raum bei Fragen um die Zukunft des Planeten Erde?
Andererseits: fossile Brenn- und Treibstoffe und Atomenergie sind „Schlüsselelemente“ der modernen Verschwendungsgesellschaft mit dem übermässig grossen ökologischen Fussabdruck – verständlich, dass die Atom-, Auto- und Erdöllobby den negativ belasteten Begriff „Verzicht“ so gerne braucht. Dabei vermögen Energieeffizienz und der Einsatz erneuerbarer Energien erhebliches zur Lebensqualität beizutragen. Die Reduktion des Übermasses ist sicher nicht Verzicht – sondern analog zum Körpergewicht das Anstreben des Idealgewichts! Und dies gilt bekanntlich als vorteilhaft. Darum: „Leichter leben“ ist auch aus ökologischer Sicht angesagt – sowohl als persönlichen Mehrwert als auch als Beitrag zum Wohlergehen der Menschheit!
Fakt ist: freiwilliger Verzicht erleichert das Erreichen der 2000-Watt-Gesellschaft – und es zeigen sich nach den hedonistischen LOHAS auch die ersten Anzeichen einer neuen soziodemografischen Gruppe: LOVOS! Verzicht als neue Freiheit – weniger Marketing und Konsumismus!
Nun, vielleicht liegt hat hier die Hauptmotivation dafür, dass sich eine Zeitung mit der Atom- und Autolobby gegen die 2000-Watt-Gesellschaft verbündet! Das Zeitungsmachen wird nämlich sarkastisch wie folgt definiert: Zeitungsmachen ist demnach die Freiheit, die News von gestern auf die Rückseite von heute aktuellen Inseraten auf das Altpapier von morgen zu drucken. Wenn allerdings Inserate wegen des freiwilligen Verzichts weniger beachtet werden, würden auch Medien ein neues Geschäftsmodell brauchen!