Dass „Familie Schoch“ ohne grössere Umstände – das gröbere Littering gehört auch dazu – aus dem Binz-Areal ausgezogen ist (Stand 1. Juni 2013, 15 Uhr), entspricht einer ganz simplen Logik. Was „am Tag danach“ auf der Internetseite binzbleibtbinz zu lesen war, ist demgegenüber höhere Absurdität. Aber ganz einfach der Reihe nach.
Der erste Teil ist wirklich simpel: da es in nächster Zeit in der Stadt Zürich immer wieder leer stehende Gebäude geben wird, die absehbar umgenutzt oder abgebrochen werden, gibt es genügend Möglichkeiten für Besetzungen. Damit dies von den diversen Eigentümerschaften akzeptiert wird, müssen sich diese darauf verlassen können, dass Abmachungen zur Nutzungsdauer im Wesentlichen eingehalten werden. Die – und seien sie noch so absurd – Forderungen der „Familie Schoch“ können so weiter vertreten werden. Die Folgen der als Saubannerzug bezeichneten Krawallereignisse nach einer ausgearteten Strassenparty vom 2./3. März 2013 spielen dabei kaum eine Rolle – zutreffenderweise hält Tamedia-Redaktor Peter Aeschlimann in der Papierversion des Tages-Anzeiger vom 1. Juni 2013 fest, dass die „Familie Schoch“ nicht wegen einer Randale, für die sie in ihrer Naivität gar nicht verantwortlich gemacht werden können, in Sippenhaft zu nehmen sei. Ob der bevorstehende Amtsantritt des neuen Polizeivorstehers Richard Wolff mit dem (bis jetzt) eher reibungslosen Auszug der „Familie Schoch“ zu tun, ist ebenfalls nicht relevant. Wir sind weg und trotzdem bleiben wir. … Wir haben viel zu tun. heisst es gegen Schluss der binzbleibtbinz-Internet-Seite – darum lohnt es sich, trotz (bis zum Moment) ausgebliebenen Auszugskrawallen etwas genauer hinzuschauen.
selbstbestimmte Freiräume – autonome Freiräume – gemeinschaftliches Leben an einem Ort, den wir in allen Belangen selbst gestalten und bestimmen können – das sind Originalzitate ab der Internetseite binzbleibtbinz (abgefragt 1.6.2013, 15:58). Diese Formulierungen sind hochgradig absurd, weil sie einer Steinzeithaltung entsprechen, weil sie willkürlich sind und damit gegen das wegleitende Prinzip aufgeklärter, moderner Gesellschaften verstossen: der kantsche Imperativ „tue andern nur das an, was Du bereit bist zu akzeptieren, wenn andere es Dir antun“ gilt unverrückbar. „Selbstbestimmt“ ist mit diesem Imperativ in keiner Art und Weise vereinbar: „Familie Schoch“ hätte zwar Binz/Üetlibergstrasse 111 noch länger besetzt halten wollen – die Notwendigkeit von Asbest- und Altlastensanierung im Interesse der Allgemeinheit ist nicht mit dem egoistischen und absolutistischen Anspruch auf „Selbstbestimmung“ vereinbar. Es ist so, die Asbest- und Altlastenthematik stellt eine „Verregulierung“ dar. Dazu gehört auch, dass „ausgetragene“ Gebäude mit übermässigem Energieverbrauch – auch wieder im Interesse der Allgemeinheit – entweder umfassend erneuert oder durch einen „vorbildlichen“ Neubau ersetzt werden. Und derzeit gilt die mehrheitsfähige Devise, dass die Stadt verdichtet zu nutzen ist – massiv unternutzte Areale sind möglicherweise mit dem unmodernen Anspruch der Selbstbestimmung vereinbar, nicht aber mit eigenverantwortlichem Handeln in einer Gesellschaft, die Richtung Nachhaltigkeit unterwegs ist!
Raum ist ein knappes Gut. Es ist durchaus vorstellbar, dass Boden nicht mehr natürlichen und/oder juristischen Personen gehören sollte, sondern der Allgemeinheit. Nur: selbst dann leitet sich daraus kein absolutistischer Anspruch der „Familie Schoch“ auf eine von ihr definierte Art von Freiräumen ab, auch mit derartigen Randbedingungen müsste entschieden werden, ob die Freiraum-Ansprüche der „Familie Schoch“ oder die Wohnraumbedürfnisse von USZ-Mitarbeitenden und Studierender – oder allenfalls weiterer Bedürfnisse – zu bevorzugen sind. Entsprechende Argumente sind von „Familie Schoch“ nicht zu hören. Klar ist: die Zukunft der Städte gehört den verdichteten Städten, die sich ständig weiterentwickeln. Die Ermöglichung von Freiräumen – von der Naherholung über Lebensräume mit mehr oder weniger grosser individueller Beeinflussbarkeit (mehr als das kann Selbstbestimmung nicht sein) – gehört zu einem Prozess, welcher unter Nachhaltigkeitsaspekten im Rahmen der Rechtsordnung auf demokratischer Basis die Weiterentwicklung unserer Städte und Dörfer bewusst gestaltet und prägt. Auch bei einen noch einzuführenden bedingungslosen Grundeinkommen wird zu diskutieren sein, welche willkürlichen selbstbestimmten Freiräume möglich sein sollen.
Völlig ratlos macht der Hinweis auf binzbleibtbinz „Aus unserer Sicht ist der Prime Tower und was er repräsentiert ernsthaft kriminell“ (im Übrigen ist Kriminalität nicht eine Frage des Standpunktes, sondern der Rechtsordnung) – ich bin mir zwar gewohnt, um die Ecke zu denken, aber auch hinter drei Ecken habe ich wenig bis nichts gefunden. Der Prime Tower als ein Bauvorhaben auf dem Maag-Areal entstand im Rahmen von demokratisch beschlossenen Sonderbauvorschriften (für das Maag-Areal Plus, im Herbst 2003 vom Stadtrat dem Gemeinderat beantragt, welcher diese Vorschriften im Dezember 2004 genehmigt hat; das mögliche Referendum wurde nicht ergriffen). Grundeigentum gilt in der Schweiz als legitim, das Vermieten von Büro- und anderen Flächen ebenfalls. Das Vermieten von grossen Büroflächen in der Nähe eines Knotens des öffentlichen Verkehrs (Bahnhof Hardbrücke) ist zweckmässig, möglicherweise werden zukünftig Wohnen und Arbeiten weniger getrennt, dies ändert an der Zweckmässigkeit grosser Bauvolumen wenig. Hier hat binzbleibtbinz noch Erklärungen nachzuliefern, sonst kann mit diesem Beliebigkeitssatz nichts bewirkt werden.
Die Medien sind offenbar minimalsten Logiken nicht zugänglich – da wurden bereits Stunden vor dem Auszugstermin „Newsticker“ eingerichtet, wahrscheinlich in der Hoffnung auf seitenfüllende Krawallberichterstattung. Dazu passt auch die dümmliche Stellungnahme der $VP an der Sitzung des Stadtzürcher Gemeinderates vom 29. Mai 2013. Offenbar wäre die $VP an reichlich Krawall interessiert gewesen – ob diese Nicht-Partei jeweils mit ProvokateurInnen nachhilft?