In der NZZ am Sonntag vom 14. August 2016 verlangt Daniel Meier, die Velofahrer sollten einmal den Fehler bei sich suchen – statt immer neue Fördergelder zu verlangen. Abgesehen von der nichtgendergerechten Formulierung bin ich verwundert, dass es sich bloss um einen Fehler handeln soll. Ich komme da auf deutlich mehr eigene Fehler.
Mein grösster Fehler ist wohl, dass ich mich als legalistischer Velofahrer verhalte – ganz einfach darum, weil ich die Hoffnung nicht aufgegeben habe, dass sich auch der Staat zum Beispiel beim Lärmschutz, beim Klimaschutz oder der Luftreinhaltung an die selbst beschlossenen eigenen Gesetze hält. Legalistisches Velofahren ist ein doppelter Fehler: Erstens lasse ich damit erkennen, dass ich mit der aktuellen verkehrspolitischen Situation einverstanden bin, zweitens ich dadurch scheinbar das Verhalten der VelofahrererInnen, die sich nicht an die Regeln halte, missbillige. Einfach der Vollständigkeit halber: gerade in der Stadt Zürich ist es gar nicht möglich, zu hundert Prozent legalistisch mit dem Velo unterwegs zu sein. Da ich aber nicht zur Eigenanzeige verpflichtet bin, führe ich dies nicht weiter aus.
Ein weiterer wichtiger Fehler ist, dass ich dort, wo solche zur Verfügung stehen, Velo-/Fussverkehr-Mischflächen nutze. Auch dies ein doppelter Fehler:
- Weil FussgängerInnen und Velofahrende unterschiedliche Bewegungsmuster haben, können solche Mischflächen nicht funktionieren.
- Warum ist es in Situation A möglich, eine Velo-/Fussverkehr-Mischfläche zu realisieren, nicht aber in der ziemlich vergleichbaren Situation B? Oder anders: Wie erkläre ich VelofahrererInnen-Neulingen, warum sie in Situation A auf dem Trottoir fahren müssen, dass dies aber in Situation B verboten ist?
Einfach noch zum Thema rüppelhafte VelofahrerInnen auf Mischflächen: Ich bin regelmässig auch zu Fuss unterwegs, allerdings deutlich schneller als die durchschnittlichen FussgängerInnen. Auch dies wird regelmässig missbilligt.
Ebenfalls ein grosser Fehler ist, dass ich Mobilität nicht mit Verkehr verwechsle. Ich komme daher zum Schluss, dass das Velo objektiverweise als intelligentestes Verkehrsmittel einzustufen ist, bis hin zu gesundheitlichen Aspekten. Damit verbunden erkenne ich einen weiteren Fehler: Ich habe bis jetzt übersehen, dass die real existierende Verkehrspolitik nichts mit Klugheit zu tun hat, sondern ausschliesslich den Propagandaaktivitäten der Automobilindustrie gehorcht – E-Autos dürften diesen Effekt sogar verstärken. Denn wer sich zum Kauf solch teurer Konsumgüter bewegen lässt, will sie auch brauchen.
Ebenfalls ein Fehler ist, dass ich das Velo auch als Verkehrsmittel und nicht ausschliesslich als Flanier- und Sportgerät wahrnehme. Offenbar ist es ein vermessener Anspruch, mit dem Velo zügig (nicht schnell!) unterwegs sein zu wollen. Oder anders: Obwohl ich ein geübter und konditionell ausreichend geeigneter Velofahrer bin, brauche ich wegen meiner legalistischen Fahrweise in der Regel 30 Prozent mehr Unterwegszeit als von der ZüriPlan-Velo-App vorgegeben.
Und einige weitere Fehler: Ich benutze gerne und konstant den Velohelm, ich achte auf eine funktionierende Velobeleuchtung, die auch bei Fahrten bei Tageslicht eingeschaltet ist, zudem verwende ich in der Dämmerungs- und Nachtzeit eine Leuchtweste. Diese Gadgets haben mich noch nie vom Velofahren abgehalten, wenn schon eher das Fehlen dieser Accessoires. Ich fühle mich sicherer, auch besser geschützt vor Eigenfehlern – und ich stelle fest, dass auch andere Verkehrsteilnehmende diese Sicherheitssignale wahrnehmen und entsprechend reagieren. Erstaunlich und empfehlenswert speziell in Zürich: Dauer-Grinsen im Strassenverkehr!
Möglicherweise ist es auch ein Fehler, dass ich mir noch keine Helmkamera angeschafft habe, um das Fehlverhalten vieler VerkehrsteilnehmerInnen (die Velofahrenden gehören dazu) festhalten und dokumentieren zu können. Keine «Gasse rechts», parkierende Fahrzeuge auf Velostreifen (insbesondere Polizei- und Kurier-/Postfahrzeuge), Baustelleninstallationen auf Velostreifen, Rückwärtsfahren ohne Hilfspersonen, Nichtgewährung Rechtsvortritt, Smartphone-SpaziergängerInnen und dergleichen sind einige Beispiele davon.
Oder, um auf die Fehlereinzahl im NZZaS-Beitrag von Daniel Meier zurückzukommen: Mein «Fehler» ist es offenbar, dass ich trotz diesen Widerwärtigkeiten immer noch regelmässig mit dem Velo unterwegs bin. Denn: Die Verkehrspolitik schätzt mich zumindest in Zürich als Velofahrer gar nicht, es gibt kein erkennbares Wollen, dass die Stadt Zürich zur Velostadt werden wollte. Die Politik geht davon aus, dass sich die überzeugten VelofahrerInnen entweder in Frustrationstoleranz und/oder in kontinuierlicher Verkehrsvorschriftenmissachtung üben. Das ist mit Sicherheit keine zukunftsfähige Strategie.