Einmal mehr fällt der Tagesanzeiger (in seiner Ausgabe vom 13.4.2013) in völlig unqualifizierter Art und Weise über das Minergie-Label her – mit diesem Minergie-Bashing illustriert der Tagesanzeiger erstens die Abhängigkeit von Atom- und Fossilenergielobby und illustriert zweitens die Energiewende-Unfähigkeit der Energiepolitik. Da braucht es endlich eine echte Energiewende!
Als Vorbemerkung: Wenn es um Energiefragen im Gebäudebereich geht, steht dabei das Wohlbefinden der Menschen beim Wohnen, Arbeiten, Lernen, … im Vordergrund. Ein Aspekt ist dabei der thermische Raumkomfort, siehe dazu Raumkomfort for Dummies. Damit die Sache klar ist: barfuss im T-Shirt im Dezember auf Steinfussböden oder der Kopfgrill (früher Heizpilz) im winterlichen Aussenrestaurant ist damit nicht gemeint. Anzustreben sind vereinbarte Raumkonditionen, die sich auf Normen und Richtlinien abstützen, welche wiederum auf die umfassenden Forschungsarbeiten zu Raumkomfort-Fragen zurückgehen. Denn: gerade ein konsumistisch beanspruchter Raumkomfortanspruch hat erhebliches Rebound-Potenzial.
Die Kantone – gemäss Bundesverfassung für den Energieverbrauch im Gebäude zuständig – verfolgen bis anhin eine Doppelstrategie: es gibt ein Minimalset an Vorschriften, die zu befolgen sind (festgelegt in den Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich, MuKEn, darüber hinaus setzt der private Verein Minergie freiwillig zu befolgende Vorgaben einer umfassenden Label-Familie (Minergie, Minergie-P, Minergie-A, je noch mit der Ergänzung „Eco“ für eine verstärkte Beachtung von Gesundheit und Bauökologie). Weil es sich um freiwillige Standards handelt, setzt die Kontrolle dieser Labels ganz entsprechend den schweizerischen Verhältnissen stark auf eigenverantwortliches Handeln der Beteiligten.
Wichtig für das Verständnis der kantonalen Politik im Gebäudebereich ist die Konzentration auf konkrete Einzelmassnahmen statt auf die Wirkung – darum etwa macht Minergie (als eine der auch technisch herausfordernden Anforderungen) Vorgaben an die Raumluftqualität respektive fordert eine Komfortlüftung (von andern als Zwangsbelüftung bezeichnet), statt zum Beispiel die Klassierung A gemäss Energieetikette zu verlangen.
Seit längerem ist allerdings bekannt, dass nur ein kleiner Teil der Fachleute in der Lage sind, Gebäude so zu planen und auszuführen, dass nur schon die Vorgaben der MuKEn eingehalten werden; noch deutlich weniger Fachleute sind in der Lage, die Anforderungen der Minergie-Label-Familie umsetzen zu können. Diese Aussagen wurden etwa im Praxistext Minergie ausführlich festgehalten. Ärgerlich ist, dass die aktuelle Energie-Subventionitis diese ärgerlich tiefen Wissensstand sogar zementiert. P.S. Ich verfüge selber über einen Fachhochschul-Abschluss in Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik; ich bin mir bewusst, dass ich mit dieser Aussage viele FachkollegInnen kritisiere. Es gibt zum Glück auch Ausnahmen!
Minergie ist ein Label, welches auf der Basis der Projektierung provisorisch vergeben wird – das definitive Label wird ausgestellt, wenn eine Bestätigung vorliegt, dass das Vorhaben entsprechend der Projektierung ausgeführt wurde – eine Erfolgskontrolle ist damit nicht verbunden (darin gleich Minergie anderen Labeln wie BREE, LEED oder DGNB). Das ist eine ernsthafte Schwäche solcher Labels. Klar ist: das Label selbst, aber auch die Umsetzung des Labels müssen einem kontinuierlichen Qualitätssicherungs- und Verbesserungsprozess unterworfen sein – sonst wird die schon lange Liste zu den populärsten Unwahrheiten über MINERGIE noch länger!
Am Beispiel der Räumlichkeiten der im Tagesanzeiger vom 13.4.2013 genannten Pädagogischen Hochschule Zürich, welche im Herbst 2012 in Neubauten, welche im Auftrag der SBB erstellt wurden, eingezogen ist, lassen sich durchaus einige spannende Aussagen zur Zertifizierungstätigkeit und damit zur Realität der Energiepolitik sagen. Die Liste der Minergie-Bauten ist öffentlich zugänglich, die SBB-Bauten der PH Zürich können hier angezeigt werden. Vorerst: diese Bauten verfügen NICHT über ein definitives Minergie-Zertifikat – sie dürfen also nicht als Minergie-Bauten bezeichnet werden. Das im Tamedia-Artikel genannte Architekturbüro Max Dudler ist nicht aufgeführt in der Spalte der Beteiligten. Die Bauherrschaft SBB ist nicht „MEMBER“ von Minergie (MEMBER=dem Verein MINERGIE zugewandte Firmen, Personen und Verbände) wie andere professionelle Bauherrschaften; ebenso sind die namentlich aufgeführten Planer nicht MINERGIE-FACHPARTNER (=Unternehmen und Personen mit Erfahrung beim Bau nach MINERGIE-Standard). Damit ist nicht zwingend etwas über die Qualifikation ausgesagt – wer Member oder Fachpartner ist, kann sich aktiv an der Weiterentwicklung und damit Qualitätssicherung von Minergie-Bauten beteiligen. Gar nicht genannt sind in der Minergie-Gebäudeliste die ausführenden Firmen.
Fazit: Bei der gesamten Diskussion um Minergie-Bauten und damit verbunden den politischen Massnahmen der Kantone im Gebäudebereich zeigt sich sowohl die nicht vorhandene Energiepolitik als auch das fehlende Energie-Know-how der gesamten Bauwirtschaft. Die wirkliche Energiewende und eine stärkere Betonung des (thermischen) Wohlbefindens bei Bauten sind nur synchronisiert möglich! Dazu gehört auch eine Stärkung der Inhalte und qualitativen Wirkungen von Labels wie Minergie.