Pünktlichkeit und Genauigkeit sind üblicherweise Eigenheiten, die den SchweizerInnen attestiert werden – offenbar gehört Gelassenheit und Krisenfestigkeit nicht dazu (wobei festzuhalten ist, dass es sich dabei wie immer um Schubladen handelt, in die man hineingesteckt wird, und kaum mehr daraus herauskommt). Nach den hektischen Wochen im März und April 09 lohnt es sich, sowohl nach hinten als auch nach vorne zu blicken.
Am 19. April ist im Auto-Anzeiger, früher Tages-Anzeiger der Titel „Die UBS dreht Parteien den Geldhahn zu“ zu lesen, mit dem Hinweis, dies gelte nur so lange, wie die UBS auf Hilfe vom Staat angewiesen sei. „Wer zahlt, befiehlt“ gilt auch im Spannungsfeld von Politik und Wirtschaft. Es ist davon auszugehen, dass die Interessen des Staates nicht mit denjenigen der Banken und insbesondere der UBS übereinstimmen. Dies wird auch durch den früheren Bundesrat und aktuellen UBS-Verwaltungsratspräsidenten Kaspar Villiger bestätigt: eine der Schlussfolgerungen aus seinem am 17.4.09 veröffentlichten Buch „Eine Willensnation muss wollen“: Schuld an der Finanzkrise ist die Politik. Wenn sich nun die Banken PolitikerInnen kaufen (und Spenden an die Politik sind nichts anderes), dann sind die Triebfeder hinter der staatlichen Politik die Banken selbst – und „selber schuld“ am Politikversagen! Konsequenz daraus: es braucht eine transparente Parteienfinanzierung, es braucht klarere Regeln für das Polit-Lobbying, es braucht die Sicherstellung, dass die Politik tatsächlich führt (und nicht vorgeführt wird!). Dazu braucht es endlich eine Diskussion über die „Global Goals“ der Politik, über die Ziele der Gemeinschaft – spannend, dass insbesondere die von den Banken unterstützten Parteien diese Diskussion verweigern! Somit braucht es endlich auch eine Parteienreform: die bisherigen Parteien haben ihren Dienst getan, es braucht neue Parteien: die meisten Parteien sind im Spannungsfeld von Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Interessen angesiedelt, selbst die Grünen und bereits auch die Grünliberalen haben sich hier eingepasst, statt ihre Gesamtsicht der Welt einzubringen; dieses Duopol Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Interessen macht schlicht in der heutigen Zeit keinen Sinn mehr.
Zu diesen Aspekten gehört auch der Mythos Bankgeheimnis – noch im Februar 09 verteidigte die FDP dieses Instrument als Möglichkeit, dass Private die Allgemeinheit bestehlen dürfen! „Mehr Freiheit – weniger Staat“ ist immer noch die Haltung der FDP, obwohl ihr früherer Bundesrat Villiger den Nachweis führt, dass genau der zu schwache Staat zur aktuellen Krise der Finanzwirtschaft geführt habe. Da weiss die rechte Hand offenbar nicht, was die rechte Hand tut (kein Tipp- oder Gedankenfehler, sondern der schlichte Hinweis darauf, dass nicht einmal innerhalb der gleichen Partei ein einigermassen geschlossenen Werte- und Positionssystem existiert – Politik offenbar als von den Sponsoren gesteuertes Zufallsprinzip).
Das Festhalten am undifferenzierten Bankgeheimnis ist so oder so lächerlich: zwar ist es durchaus legitim, dass in Finanzgeschäften eine gewisse Vertraulichkeit erwartet werden darf – selbst dann, wenn die Reichen und Reichsten ihr Vermögen sehr gerne zur Schau stellen, aber auch dies gehört zu den Widersprüchen des realen Lebens. Als Staatsbürger und damit Steuerzahler erhebe ich aber den Anspruch, dass sich alle entsprechend ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten an den Aufgaben des Staates beteiligen – und diese sind auch gemäss Ansicht von ex-Bundesrat Villiger eher zahlreicher und umfangreicher als heute… Und nochmals, in dieser Diskussion soll und darf es keine Rolle spielen, für welche Zwecke (demokratisch geprägte) Staaten die Steuergelder ausgeben: die Prioriätensetzung der Mittelverwendung erfolgt nach dem demokratischen Mehrheitsprinzip (egal ob Mehrheiten falsch oder richtig liegen – darum ist ja die Transparenz über die „Käuflichkeit“ der Parteien von derart grosser Bedeutung;-).
Hat nun die OECD die Schweiz über die Intensivierung der Aktivitäten zur Umsetzung der in den Steuer-Muster-Abkommen vorgesehenen Elemente informiert? Wahrscheinlich ist dies bloss eine Definitionsfrage: wer oder was genau ist „die OECD„, wer oder was genau ist „die Schweiz„. Ist der Informationspflicht bereits Genüge getan, wenn der OECD-Generalsekretär Angel Gurría bei einem Apéro einen Nebensatz zu diesem Thema an einen zufällig anwesenden Mitarbeiter der Bundesverwaltung richtet? Offenbar geht es also auch darum, die Dienstwege und die Informationsbeschaffungsaktivitäten neu zu definieren, und zwar sowohl bei der Schweiz als auch bei der OECD! Oder hat es wohl damit zu tun, dass angesichts von immer mehr Kommunikationstechnologien die Kommunikation immer schwieriger wird? Als Bild dazu: eine Bundesrätin schreibt einen Brief an die OECD, und weil irgend etwas an diesem Brief nicht passt, wird er vor dem Eingangspostfach des OECD-Generalsekretärs noch „abgefangen“… ist dies tatsächlich im Jahr 2009 ein passender Kommunikationsstil? Und ganze einmal mehr als Bestätigung, dass der Umgang mit Informationen auch ein Machtinstrument ist.
Es ist allerdings offensichtlich, dass die OECD taktisch wesentlich klüger agiert als die Schweiz: einerseits hat es die OECD mit sehr wenig Aufwand und in sehr kurzer Zeit geschafft, die Vorbehalte der Schweiz (und weiterer Staaten) gegen das Steuer-Muster-Abkommen zum Verschwinden zu bringen – und gleichzeitig hat die OECD durch die temporäre Differenzierung der „Steueroasen“ in eine „schwarze“ und eine „graue“ Liste bei laufender Aktualisierung und nachfolgender Streichung der „schwarzen“ Liste ein Bravourstückchen an Cleverness vorgelegt. Denn: welche Farbe die Liste hat, ist angesichts der brisanten Inhalte unbedeutend – die Schweiz ist in der Pflicht und muss die Doppelbesteuerungsabkommen anpassen (selbst mit jenen Staaten, die bis anhin ebenfalls geschlafen haben und jetzt am lautesten auf die Schweiz einprügeln – und wahrscheinlich sogar unter Brüskierung der direkten Demokratie, denn für die demokratischen Eigenheiten der Schweiz haben bekanntlich die Super-Demokraten aus andern Ländern kein Verständnis). Und auf jeden Fall sind auch die Herkunftsländer der Gelder gefordert: sie sind es nämlich, die in erster Linie für Steuergerechtigkeit in ihrem Land zu sorgen haben! Und dies schein gar nicht einfach zu sein, wie das Beispiel Deutschland zeigt! Allerdings wird es jetzt wieder absurd: wenn eine Sprecherin des deutschen Finanzministeriums von der Schweiz noch einmal eine Umsetzung der OECD-Standards über einen Informationsaustausch in Steuerfragen verlangt und dabei sagt: „Uns geht es darum, dass die OECD-Standards für Informationsaustausch nicht nur anerkannt, sondern umgesetzt wird» und weiter ausführt, dies sei nicht unmittelbar mit dem Doppelbesteuerungs-Abkommen zwischen der Schweiz und Deutschland verbunden, so irrt sie sich schlicht (und es ist zu hoffen, dass nicht auch Deutschland vom PISA-Phänomen betroffen ist). Nur schon der Titel des OECD-Dokuments zeigt deutlich, dass es um eine Vereinbarung zwischen zwei Ländern geht: Convention between (State A) and (State B) with respect to taxes on income and on capital
Es scheint, dass die Trotzhaltung des Bundesrates gegenüber der OECD (z.B. Nichtbezahlung von Projekt-Beiträgen, „graue“ Liste über die Zahlungsmoral der anderen Mitgliedsstaaten, diskutierte Nichtwiederwahl des Generalsekretärs) vor allem als innenpolitische Rechtfertigung dient, um damit das jahrelange Nichthandeln zu verbergen. Und das passt dann wiederum zur Trotzhaltung des deutschen Finanzministers, welcher die Schweiz nicht zu Sitzungen über dieses Thema einladen will, weil sie an einer früheren Sitzung nicht teilgenommen habe. Tja, wie immer: da müssen sich diverse Männer und Frauen die Frage gefallen lassen, ob sie tatsächlich an der Lösung des Problems arbeiten oder ob sie Teil des Problems sind.
Es ist zu hoffen, dass das virtuelle Thema „Bankgeheimnis“ (bei welchem es eigentlich um Steuergerechtigkeit geht) endlich vom Tisch kommt, damit sich sowohl die Schweiz wie die Staatengemeinschaft um die realen Schwierigkeiten kümmern können, etwa der Sicherstellung der Existenz der Bewohner dieser Erde, Stichworte dazu Klimaschutz, ökologischer Fussabdruck oder bedingungsloses Grundeinkommen für alle.
Erste Fassung 19.4.2009