Seit einiger Zeit sind die Piraten vor Somalia ein globales Aergernis – weil die militärische Gewaltausübung als klassische Symptombekämpfung bei den politischen Verantwortlichen von Staaten gerade in ökonomischen Krisenzeiten äusserst beliebt ist, werden derzeit (April 09) die Medien deutlich stärker von diesen Seeräubergeschichten erzählen, gelangen ernsthafte Probleme wie etwa der Klimawandel deutlich in den Hintergrund.
Piraterie, Seeräuberei ist keine geeignete Form der Konfliktlösung oder Existenzsicherung, dies ist unbestritten. Keine nachhaltige Form der Problemlösung ist allerdings das militärische Vorgehen der EU und der USA und weiterer Staaten – hier wird kräftig an einer sinnlosen Eskalationsspirale gedreht.
Geradezu dumm und gefährlich sind die Überlegungen der Schweiz zu diesem Thema. Da sollen Schweizer Soldaten Handelsschiffe beschützen – eigentlich nicht einmal ein Aprilscherz, aber den Verantwortlichen ist es offenbar tatsächlich ernst.
Mit dümmlichen Aussagen geradezu hervorgetan hat sich Botschafter Jacques Pitteloud, Chef des Politischen Sekretariats im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) (NZZ, 14.4.09). Zitat: es [handle] sich bei den Piraten eindeutig um Kriminelle und nicht um irgendwelche Opfer der Globalisierung []. Die Schweiz habe ohnehin keine Fischereiflotte, die Schuld an der Überfischung der Gewässer auf sich geladen habe.
Der Konsum von Fisch- und Meeresprodukten in der Schweiz ist in den letzten 20 Jahren um über 20 % angestiegen, zu 95 % aus internationalen Märkten. Der Konsum von Thunfisch-Produkten stieg in dieser Zeit um 40 % – Thunfische werden gerade auch vor Somalia gefangen.
Die Schweiz mag zwar keine eigene Fischfangflotte haben: die global vereinigten Fischfangflotten fischen auch für die Schweiz! Und es wird massiv überfischt, siehe Wikipedia. Die These, dass die Fischer vor Somalia wegen Überfischung zu Piraten wurden, ist selbst in ZEIT ONLINE zu finden. Herr Pitteloud, Sie liegen mit Ihren eigenartigen Aussagen völlig neben den Fakten. Mit eine der zentralen Triebfedern der Piraterie vor Somalia ist der illegale und übermässige Fischfang anderer Nationen – es werden mehr (Fisch-)Proteine aus dem Lebensraum der Menschen in Somalia „wegpirateriert“ als durch die Hilfswerke „zurückgeliefert“ wird! Piraterie wird also mit Piraterie beantwortet! Und wer diesen zechprellenden ÜberkonsumentInnen aus den „reichen“ Ländern den Spiegel vorhält, muss damit rechnen, gewalttätig belangt zu werden. Und dabei sind die Menschen in Somalia nach wie vor ohne Zukunftsperspektiven, sowohl für sich selbst als auch für die Nachkommen!
Weder die eine noch die andere Piraterie ist nachhaltig – sowohl die Menschen in Somalia wie in den „reichen“ Ländern verhalten sich als Zechpreller. So kann es nicht weitergehen.
Die Menschen in den „reichen“ Ländern müssen gesamthaft ihren ökologischen Fussabdruck erheblich verkleinern. Zum Beispiel bei den Lebensmitteln geht es darum, den Nahrungsanteil aus tierischer Herkunft, sowohl Fleisch- als auch Fisch- und Meeresprodukte, deutlich zu vermindern. Mit der Zeit werden sich auch vor Somalia die Fischbestände erholen – damit lässt sich sowohl die Existenz der Menschen in Somalia sichern als auch Fisch für den Exportmarkt, selbstverständlich gelabelte Fair-Trade-Produkte, produzieren. Die Entwicklungshilfe für Somalia ist so auszurichten, dass sie in erster Linie Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich für den landeseigenen Bedarf bereitzustellen vermag.
Es ist davon auszugehen, dass die erforderlichen Massnahmen zur dauerhaften Verbesserung der Situation in Somalia wesentlich weniger kosten würden als die aktuellen EU- und US-Militär- und Marine-Operationen wie Operation Allied Provider oder Operation Atalanta. Und zudem: mit einer verbesserten ökonomischen Situation sollte es auch möglich sein, Somalia zu politisch stabileren Verhältnissen zu verhelfen!
Nachtrag 28.5.2009
Aus einem Medienbericht zum deutschen Friedensgutachten 2009:
Die Mitarbeiter der fünf deutschen Friedensforschungsinstitute bemängelten, dass die Kriegsschiffe vor Somalia nichts gegen illegalen Fischfang und illegale Müllverklappung unternähmen. Doch Giftmüllentsorgung und Überfischung durch internationale Fangflotten entzögen den Menschen an der Küste Somalias ihre wirtschaftliche Grundlage.
„Nur die Seeräuberei mit aller Macht verhindern zu wollen, schwächt die Glaubwürdigkeit der Piratenbekämpfung in der somalischen Gesellschaft, die aber zur Lösung des Problems entscheidend ist“, resümierten die Konfliktforscher. Erforderlich sei eine Politik, die die wirtschaftlichen und ökologischen Interessen der somalischen Küstenbevölkerung berücksichtige und das Völkerrecht auch gegen internationale Rechtsbrecher durchsetze. Im Internationalen Abkommen über die Hohe See von 1958 sei nicht nur die Verfolgung von Piraterie festgelegt, sondern auch die Ahndung von illegaler Giftmüllentsorgung.
Erste Fassung 14.4.2009