Jeweils am Sonntag-Abend machen Viktor Giacobbo und Mike Müller, unterstützt von Peter Tate ein bisschen Satire am Fernsehen. Lorenz Keiser, Joachim Rittmeyer, Franz Hohler, Ursus und Nadeschkin sind weitere Namen von guter Satire. Satire? Tatsächlich! Doch: häufig wird diese edle Satire getopt durch die Realsatire des schweizerischen Alltags. Zum Beispiel bei den sich fast im Sekundentakt jagenden Schlagzeilen zur KandidatInnen-Kür für die Ersatzwahl des zurückgetretenen Bundesrates Samuel Schmid.
Satire heisst: die etwas sagen, wissen, dass ihre Aussagen bewusst überspitzt und übertrieben sind. Realsatire heisst: die meinen es wirklich ernst, was sie sagen. Der ziemlich schnell alternde Geldaristokrat Christoph Blocher meint seine Äusserungen wirklich ernst. Er meint es beispielsweise ernst, wenn er meint, es sei seine Pflicht, nochmals Bundesrat zu werden. Als kleiner Tipp: selbst Bundesrat ist ein Job, der durchaus auch Spass machen darf. Allerdings hat Herr Blocher bis auf hämisches Grinsen das Lachen schon lange verlernt. Diejenigen, die behaupten, Christoph Blocher sei der fähigste (SVPler) für den Bundesratsjob, die meinen es also wirklich ernst. Dabei ist es genau die a-moralische, a-ethische, a-soziale, a-ökologische, a-ökonomische Haltung von Menschen wie Christoph Blocher, die die Schweiz, die die Welt in genau die Krisen (Mehrzahl!) geführt hat, in der sie heute steht: Klimawandelkrise, Ressourcenverfügbarkeitskrise, Krise des sozialen Gefälles (sowohl lokal wie global), Lebensraumkrisen (ökonomische und ökologische Flüchtlinge, zusätzlich zu den Menschenrechts-Flüchtlingen). Ausgerechnet Zechpreller Blocher soll in dieser Krise zukunftsfähige Rezepte liefern – das ist bereits nicht mehr Realsatire, das ist Realzynismus. Die schreckliche Perspektive, dass es Menschen in diesem Land gibt, die den bereits abgewählten Christoph Blocher nochmals als Bundesrat sehen, führt zu einem Schreikrampf – und weil dieser im Internet nicht hörbar ist, zu einem abrupten Ende dieses Textes. Und, oh Schreck, Realsatire und Realzynismus beschränken sich nicht auf Christoph Blocher, dies scheint in der gesamten SVP weit verbreitet zu sein. Nach dem klassischen Motto: „Heute stehen wir vor dem Abgrund, morgen machen wir einen grossen Schritt vorwärts…“
Darum, SVPler und andere: stoppt im Interesse der unterhaltsamen und bildenden Satire diese schrecklichen Realsatire – und Realzynismus-Attacken!
Nachtrag 29.11.08: Nun sollen es also Christoph Blocher und Ueli Maurer richten, sie wurden von der SVP-Fraktion als Bundesrats-Kandidaten nominiert. Da Christoph Blocher bereits vorher von allen Fraktionen als unwählbar bezeichnet wurde, reduziert sich der SVP-Vorschlag auf einen Einervorschlag. Und die absurden Reaktionen von Ueli Maurer auf seine Eigenständigkeit innerhalb der von Blocher finanzierten und gesteuerten SVP zeigen eines klar: Ueli Maurer ist als Bundesrat nicht wählbar! Nochmals: die SVP will mit genau den Rezepten, dem Egoismus, der Zechprellerei, die die aktuellen Krisen herbeigeführt haben, zukunftsgerichtete Politiken entwickeln. Wenn etwa der inszenierte Präsident Toni Brunner an der DV vom 29. November 08 behauptet, die Schweiz brauche die SVP und die aktuelle Krise sei eine Folge der Mitte-Links-Wirtschaftspolitik, so kann dies bestenfalls als erheblich verzehrte Wahrnehmung bezeichnet werden – da werden einmal mehr Ursache und Wirkung verwechselt.
Der Real-Zynismus der SVP zeigt eines klar: auch wenn die Schweiz auf das Konkordanz-System baut, die aktuellen Lautsprecher dieser Partei haben im Bundesrat schlicht nichts verloren.
Nachtrag 10.12.08: Die Nötigungsstrategie der SVP ist also aufgegangen! Ein absolut bundesrats-untauglicher Alt-Nationalrat Maurer (das ist die einzig positive Veränderung dieses Tages!) amtet jetzt also als Bundesrat – weil er zentrale Teile der Verfassung (z.B. Menschenrechte) ablehnt, hat er bei seinem Amtsantritt einen Meineid abgelehnt.
Obwohl gar nie Spannung aufkam – spätestens Toni Brunner in „Giaccobo-Müller“ vom Sonntag, 7.12.08, hat mit der Deklaration von Maurer als SVP-Kompromiss-Kandidatur die SVP-Strategie offengelegt, was von ebenfalls Alt-Nationalrat Blocher nach dem Wahlgang bestätigt wurde. Das ist schlimmste Realsatire, absolut unlustig.
Warum wollte und will die SVP unbedingt zurück in den Bundesrat? Schlicht darum, weil sie dort besser bei der Umsetzung der „Der Staat ist ein Selbstbedienungs-Laden“-Politik – siehe Beispiel USB-Geldvernichtung – mitmischeln kann – der Bundesrat tagt einigermassen geheim und vertraulich, ganz im Gegensatz zu den Parlamenten. Nach einigen verlorenen Abstimmungs- und Wahlgängen hat die SVP gemerkt, dass die zur Fortsetzung ihrer Abzocker- und Zechprellerei-Politik besser im Bundesrat Einsitz nimmt. Dass insbesondere FDP und CVP der Nötigungs- und Erpressungspolitik der SVP gefolgt sind, führt sehr schnell zum Bankrott der Konkordanz Schweizerischer Prägung – hier kommen historisch verheerende anti-demokratische Muster zum Vorschein, die eigentlich als längst überwunden galten. Auch der Begriff „Konkordanz“ ist längst zur sinnentleerten Worthülse, zum Selbstbedienungsladen verkommen. So gering sind die Gemeinsamkeiten in diesem Land, dass zwar die gleichen Worte gesprochen, aber fundamental anderes darunter verstanden wird! Hier wäre eine klärende Diskussion dringend (aber wahrscheinlich nicht Arena-tauglich, weil sehr viel über Werte und Zukunft gesprochen werden müsste).
Dazu noch ein Wort zum dreckigen Sauberspieler respektive sauberen Dreckspieler Toni Brunner: Seine Interpretation von Konkordanz kommt bei mir als „Diktat einer der vielen Minderheiten in diesem Land“ an…
Diese Politik bringt zwar den SVP-Wählenden einige Lautsprecher mehr, entfremdet aber immer grössere Anteile der Bevölkerung von der nationalen Politik, weil sich die SVP um Scheinfragestellungen kümmert, statt die echten Zukunftsherausforderungen – sei es Klimaschutz, sei es die erwerbsunabhängige Existenzsicherung – anzugehen. Immerhin können die SchweizerInnen bei Sachentscheiden korrigierend eingreifen. Da ist einfach zu hoffen, dass der Rauswurf von Alt-Nationalrat Christoph Blocher aus der nationalen Politik dazu führt, dass die SVP zukünftig weniger Mittel hat und somit Volksentscheide nicht mehr kaufen kann!
Nachtrag 11.12.08: Herr Brunner hat bereits sein Verständnis von Konkordanz offengelegt: er nennt sie „numerische Konkordanz“. Dies hat allerdings mit Konkordanz sehr wenig zu tun, Herr Brunner meint definitiv den „freiwilligen Proporz“, den numerischen Umgang mit den Realitäten eines Majorz-Wahl-Systems. Wenn die Fraktionsstärken im Parlament betrachtet werden, würde dieser numerische Proporz lauten: SVP/Lega 2 Sitze, SP 2 Sitze, CVP EVP glp 2 Sitze, FDP 1 Sitz. Die SVP hat derzeit 2 Sitze (auch wenn einer von der Halt-immer-noch-SVP-Partei BDP eingenommen wird), womit der numerische Anspruch des freiwilligen Proporzes eingehalten ist. Übermässig vertreten ist mit den Bundesräten Couchepin und Merz die FDP/Liberale, während CVP EVP glp mit nur einem Sitz untervertreten sind. Wenn Herr Brunner jetzt einen SP-Sitz im Auge hat, ist er nicht einmal mehr bereit, den freiwilligen Proporz einzuhalten – von Konkordanz ist schon gar nicht mehr die Rede. Da kommt wieder mal die a-demokratische Haltung der SVP zu Vorschein.
Erste Fassung 19.11.08