Als Reaktion auf die Klimakrise braucht es auch im Kanton Zürich «schnelle, weitreichende und beispiellose Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft». Der grüne Regierungsrat Martin Neukom hat am 8. Mai 2020 «kräftigen Rückenwind für den Klimaschutz» vorgestellt. Allerdings reicht dies nicht, um bis spätestens 2050 netto oder brutto Null fossile Energien zu erreichen.Es geht um die Anpassung der kantonalen Energiegesetzgebung an die «Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich» aus dem Jahr 2014 (MuKEn 2014). Nachdem der frühere SVP-Baudirektor dieses Geschäft ziemlich verlauert hat, schafft es der grüne Regierungsrat Martin Neukom immerhin, etwa ein Jahr nach Amtsantritt einen offensichtlich auf Mehrheitsfähigkeit getrimmten Vorschlag zu Gesetzesänderungen zu präsentieren. Einfach noch dies: in den Jahren 1992, 2000 und 2008 gab es bereits MuKEn-Konstrukte. MuKEn-Absicht ist, in der föderalen Schweiz eine gewisse Harmonisierung der Vorschriften zu erreichen. Angesichts der Herausforderungen der Klimakrise wäre allerdings bereits eine MuKEn 2020 nötig.
Das Subsidiaritätsprinzip der föderalen Schweiz zeigt zu Zeiten der Klimakrise eindeutig offensichtliche Schwächen: der Bundesrat hat zur Umsetzung des Pariser Klimaschutz-Übereinkommens von Dezember 2015 am 28. August 2019 Netto Null 2050 für die Schweiz beschlossen, Zitat: «Ab dem Jahr 2050 soll die Schweiz unter dem Strich keine Treibhausgasemissionen mehr ausstossen. Damit entspricht die Schweiz dem international vereinbarten Ziel, die globale Klimaerwärmung auf maximal 1,5 °C gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen.» Allerdings: National- und Ständerat tun sich angesichts der hausinternen massiven Einflussnahme der fossilen Lobby schwer damit, endlich eine zukunftsfähige Klimapolitik zu beschliessen.
Im Kanton Zürich enthält der Zweck-Paragraph 1 des kantonalen Energiegesetzes seit September 2010 in Buchstabe d) eine Klimaschutzvorgabe: «Dieses Gesetz bezweckt, … die Effizienz der Energieanwendung zu fördern und im Rahmen des kantonalen Zuständigkeitsbereiches bis ins Jahr 2050 den CO2-Ausstoss auf 2,2 Tonnen pro Einwohnerin und Einwohner und Jahr zu senken». Hier geht es um den CO2-Ausstoss, also nicht um Treibhausgase insgesamt; und dies ist sehr sehr weit von der erforderlichen netto oder brutto fossilen Null spätestens 2050 entfernt.
Die lahme nationale Klimapolitik und die Uralt-Klimaschutz-Vorgabe des kantonalen Energiegesetzes lassen erkennen, dass in absehbarer Zeit im Kanton Zürich weitere Klimapolitik-Vorgaben zu erwarten sind, etwa als Ergebnis der in einer Postulatsantwort angekündigten «langfristigen Klimastrategie des Kantons Zürich». Dass der Regierungsrat mit banalen Wortklaubereien auf die Ausrufung des längst fälligen Klimanotstandes verzichtet, lässt allerdings befürchten, dass die Regierungsratsmehrheit weiterhin auf eine zukunftsfähige Klimapolitik verzichten möchte.
Kann die Demokratie angemessen auf die Klimakrise reagieren? Dies wird auch die Beratung über diese Vorlage zeigen; es ist zu hoffen, dass sich die auch im Kantonsrat vertretenen VertreterInnen der fossilen Lobby nicht werden durchsetzen können.
Ein Schwerpunkt der Vorlage ist die Kombination von Vorschriften und finanziellen Anreizen, um bei Neueinbau oder Ersatz bestehender Wärmeerzeugungs-Anlagen einen möglichst hohen Anteil an erneuerbaren Energien zu erreichen, also möglichst auf Heizöl und Erdgas zu verzichten. Allerdings enthält dieser Ansatz diverse Modell- und Systemfehler. Da müsste also noch kräftig nachgebessert werden!
Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien für die Wärmeerzeugung sind derzeit in der Tendenz bei der Installation teurer als Öl- oder Gasheizungen. Das hat einerseits damit zu tun, dass «fossile Heizungen» (in Anführungszeichen, weil nicht die Heizungen fossil sind, sondern die eingesetzen Energieträger fossile Quellen sind) Steinzeittechnologien mit geringfügigen Weiterentwicklungen zur Minimierung des Ausstosses von Luftschadstoffen darstellen und zudem wegen des grossen Anteils an den wärmeerzeugenden Anlagen auf Mengenvorteile zählen können. Wie sich zudem die volatilen Oel- und Gaspreise entwickeln, ist sehr offen, besonders dann, wenn nicht nur in der Schweiz endlich echter Klimaschutz betrieben wird und die Nachfrage nach Heizöl und Erdgas nachhaltig abnimmt. Zu beachten ist allerdings, dass Öl- und Gaspreise lügende Preise sind, weil nach wie vor erhebliche direkte und indirekte Subventionen bestehen. Ein Beispiel: nach wie vor sind die externen Kosten zur Bewältigung der Folgen der Luftverschmutzung aus den Verbrennungsvorgängen nicht eingepreist!
Wärmepumpen dürften in vielen Fällen eine gute Möglichkeit für die zukünftige Wärmeerzeugung sein; das zunehmende Marktvolumen wird in der Tendenz zu Preissenkungen führen. Ebenfalls hat etwa der Schweizerische Nationalfonds Anfang 2020 festgehalten: «Aussteigen [aus der Kernenergie und der CO2-intensiven Energiewelt] ist möglich… wenn wir wollen, und dies sogar wirtschaftlich und sozial verträglich» – Ergebnisse der Nationalen Forschungsprogramme “Energiewende” (NFP 70) und “Steuerung des Energieverbrauchs” (NFP 71). Es ist offensichtlich: wenn wir wollen, ist Heizen mit erneuerbaren Energien billiger als Heizen mit Öl und Gas. Aber eben, das müssen alle wollen, selbst die Öl- und Gasfirmen.
Um sowohl die Anlageninvestitionskosten als auch die Energieverbrauchskosten einzubeziehen, wird der Kanton Zürich zukünftig eine Berechnung über die Nutzungsdauerkosten vorschreiben. Warum allerdings ausgerechnet Öl- und Gasfeuerungen als Referenz für den Kostenvergleich dienen, ist ein arger Systemfehler. Was zukünftig nicht mehr erwünscht ist, kann und darf nicht die Referenz sein.
Es ist bekannt, dass auch die ZürcherInnen gut addieren, subtrahieren, multiplizieren und dividieren, aber schlecht rechnen können. Es ist eine grosse Herausforderung, Berechnungsverfahren zu entwickeln, die eine umfassende Darstellung ermöglichen, etwa den Einbezug der externen Kosten oder die Ausverkaufs-Situation der Heizungstechnik für Öl und Gas. Besonders von Bedeutung sind diese Berechnungsverfahren bei Mietobjekten, weil die finanziellen Interessen von Eigentümerschaften und MieterInnen zeitpunktabhängig sehr unterschiedlich sind.
Dazu kommt: da Förderbeiträge für Anlagen mit erneuerbaren Energien vorgesehen sind, möchte auch die gesamte Produktions- und Installationskette dieser Geräte von der finanziellen Förderung profitieren. Dies führt zu künstlich erhöhten Preisen für Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien. Dies wird dadurch verstärkt, dass derzeit wegen des geringen Volumens der Wärmetechnik mit erneuerbaren Energien diese noch nicht als «normal, nützlich und notwendig» gilt. Blöderweise verstärken Förderbeiträge den in der Öffentlichkeit wahrgenommen Charakter dieser Technologien als moch «experimentell, unsicher und unzweckmässig». Auch zur Behebung dieser Modellfehler braucht es Gegenmassnahmen.
Eine Möglichkeit: auf dem Markt dürfen so rasch als möglich nur noch Firmen agieren, die sich verpflichten, ausschliesslich Anlagen mit erneuerbaren Energieträgern anzubieten! Als erster Schritt: der Kanton vergibt eine Auszeichnung an Firmen, die eine Selbstverpflichtung zur Montage von ausschliesslich Anlagen mit erneuerbaren Energien abgeben und diese durch externe Audits bestätigen lassen (im Sinne der Vorsorge: Biogas kann und darf bei solchen Überlegungen nicht als erneuerbar gelten).
Die Erfahrungen aus anderen Kantonen zeigen, dass die Änderungen von Vorschriften dazu führen, dass die fossile Lobby intensivste Werbebemühungen unternimmt, um Hauseigentümerschaften geradezu zu nötigen, spätestens kurz vor Inkrafttreten der geänderten Vorschriften die bestehende Öl- oder Gasheizung durch eine neue Öl- oder Gasheizung zu ersetzen. Klar ist: Datenschutz gibt es da nicht, Öl- und Gaslobby wissen genau, was in der Schweiz an Öl- und Gasheizungen installiert ist. Als Gegenmassnahme braucht es eine Vorwirkung der geplanten Vorschriften. Da könnte der Regierungsrat bereits tätig werden. Oder vielleicht tut es da eine freiwillige, eigenverantwortliche Massnahme der Öl- und Gaslobby: es wird auf diese Nötigung der Eigentümerschaften verzichtet, zudem wird ab sofort weder für Öl noch für Gas geworben (bis hin zu Coop: Es ist nicht nachvollziehbar, warum diese Firma beim Einkaufen im Lebensmittelgeschäft nach wie vor Gutscheine für verbilligtes Benzin abgibt). Und es ist an der Zeit, dass zum Beispiel der Tages-Anzeiger das wöchentliche Kästchen mit dem aktuellen Oelpreis aus dem Angebot streicht.
Wir brauchen endlich eine klare Botschaft der Öl- und Gaslobby, dass auch diese dazu steht, dass spätestens 2050 netto oder brutto fossil Null zu erreichen ist – nur eine solche Haltung hat mit «Avenir», mit Zukunft zu tun.
Dazu gehört auch, dass die fossile Misswirtschaft endlich mit den PR-Lügen sowohl zu Biogas als auch synthetischen Gasen aufhört.
Das Bundesamt für Energie hat im Oktober 2019 im Dokument «Künftige Rolle von Gas und Gasinfrastruktur in der Energieversorgung der Schweiz» sinngemäss festgehalten: «Langfristig ist der Einsatz von Erdgas – unter Beimischung von Biogas – im Gebäudebereich NICHT sinnvoll.»
«Alternative, erneuerbare Brenn- und Treibstoffe (beispielsweise Biogas, synthetische Gase oder flüssige Treibstoffe) langfristig nur für ganz gezielte Einsatzzwecke vorsehen – sie werden auch 2050 nur limitiert zur Verfügung stehen, beispielsweise für Hochtemperaturprozesse in der Industrie, saisonale Speicherung von Strom oder die Luft-/Seeschifffahrt.» Dies steht in der Klima- und Energie-Charta Städte und Gemeinden von Klima-Bündnis Schweiz, vom Stadtrat von Zürich am 18. März 2020 genehmigt.
Sämtliche von den fossilen Lobbys unabhängigen Fachleute sehen nicht nur in der Schweiz Biogas und andere erneuerbare Gase nicht als Beitrag für Beheizung und Wassererwärmung von Bauten. Biogas für diesen Zweck ist somit eine der Sackgassen der Klimapolitik, auf keinen Fall eine «Brücke für die Zukunft». Nun: weil in den Energiegesetz-Entwürfen der Kantone Bern und Solothurn diese Biogas-Sackgasse fehlte, hat die fossile Lobby und Misswirtschaft mit erheblichen Finanzmitteln auf die Stimmberechtigten eingewirkt, was zu Nein-Mehrheiten in den jeweiligen Volksabstimmungen führte.
Die Aussagen von Regierungsrat Neukom zum Biogas während der Medienkonferenz vom 8. Mai 2020 lassen klar erkennen, dass auch im Kanton Zürich die fossilen Kräfte kräftig eingewirkt haben, einmal mehr mit nötigendem Charakter im Interesse der fossilen Misswirtschaft statt im Interesse der Bevölkerung für echten Klimaschutz. Da hat der Kantonsrat entsprechend nachzubessern; zudem ist für Transparenz zu sorgen, welche Kräfte mit welchen finanziellen Mitteln zum Beispiel auf die Abstimmung einwirken. Es ist klar: im Energiebereich gilt bis anhin die Monekratie, die fossile Lobby ist willens und finanzkräftig genug, um Volksentscheide in ihrem Sinn erheblich zu beeinflussen. Das kann und darf nicht sein!
Somit: das Energiegesetz braucht die Stärkung der dezentralen nachhaltigen Nutzung erneuerbarer Energien, braucht eine stärkere Betonung der Prosumer-Sichtweise, sowohl bei der Wärme- wie bei der Stromversorgung. Selbstversorgungs- und Autarkiegrad bei Wärme- und Stromversorgung müssen kräftig zunehmen. Es ist dafür zu sorgen, dass Förderbeiträge auch zur Stärkung der der Selbstversorgungs- Autarkieeigenschaften eingesetzt werden können. Generell sollten Zielerreichungen – und nicht die Realisierung bestimmter Einzelmassnahmen – finanziell unterstützt werden.
Die CO2-Abgabe mit voller Rückverteilung der Mittel an die Bevölkerung und an die Wirtschaft soll deutlich erhöht werden und auch auf die Mobilität ausgedehnt werden. Verbraucher, die sparsam mit fossilen Energien sind, profitieren auch finanziell wegen den rückverteilten Mitteln, die in ihrem Fall höher sein werden als die Belastung durch die höhere Abgabe. Die Abgabe wirkt überall, wo fossile Energie gebraucht wird und nicht nur begrenzt auf bestimmte Bereiche wie Subventionen oder Vorschriften. Die Kosten von Abgaben sind 5 Mal tiefer als die von Subventionen (Nationales Forschungsprogramm Energie 70/71).
Einverstanden – das ist schon soooo lange bekannt, dass ich dies häufig nicht mehr erwähne. Aber eben, die Politik nicht nur beim Klimaschutz setzt fast ausschliesslich auf diese «sympathische Streicheleinheit» …