Schlammschlachten

Heute, 9.1.2012, kurz vor 15 Uhr hat mein Newssystem eine Meldung über eine Medienkonferenz von Philipp Hildebrand, Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank zu seinem Rücktritt angezeigt. Aufgrund dieser Ankündigung war bereits klar, dass Herrn Hildebrand sein Amt freiwillig zur Verfügung stellt (wäre er gezwungen worden, hätte der Bankrat gesprochen, wäre es um ein Vergehen von Herrn Hildebrand gegangen, hätte der Bundesrat eingeladen – so viel zum Thema Transparenz). Ich habe meinen Computer abgeschaltet und habe mich zu einer symbolischen Wanderung aufgemacht: einer Schlammschlacht am Uetliberg.

Der Uetliberg als typischer Molassehügel hat eine Vielzahl von Wegen in seinen relativ steilen Flanken. Eine grössere Zahl dieser Wege führt direkt auf den Kämmen – auch beim Uetliberg heissen diese wie beim Napf „Eggen“ oder verkürzt „Egg“. Ich habe den Weg über die Rossweidliegg – vom Wasserreservoir im Oberen Friesenberg ansteigend auf der südlichen Seite der auch von der Stadt aus sichtbaren Rossweid, einer grossen, steilen und sumpfigen Wiese in der Uetlibergflanke, über eine kurze Kletterstelle, vorbei an der Privathütte des Alpenclubs Clarida und ein nochmal ziemlich steiles Gratstück bis zur Aussichtskanzel beim Fernsehturm. Viel direkter ist kaum ein Gipfelweg am Uetliberg zu haben. Nicht nur im Winter hat es allerdings dieser Pfad in sich: er ist ziemlich sumpfig, bei viel Feuchte eben verschlammt. Der Aufstieg als eine echte Schlammschlacht.

Bei der Rückkehr an den Computerbildschirm zeigt sich: meine Erwartungen haben mich leider nicht getäuscht! Herr Hildebrand hat genug von der Schlammschlacht, und tritt von seinem Amt zurück. Die Begründung ist neckisch: er werde nie beweisen können, dass er nichts mit der – von drei Revisionsstellen als heikel, aber zulässigen – Devisentraktion von Mitte August 2011 zu tun gehabt habe. Neckisch darum, weil ein solcher Beweis in der heutigen Zeit – mit telefonischer Überweisungsanordnung und Normal-Mail-Bestätigung – schlicht unmöglich ist. Es ist ehrlicherweise verheerend, dass vom Präsidenten des Direktoriums der Nationalbank verlangt wird, einen physischen Beweis für seine Nicht-Beteiligung an diesem Vorgang vorzulegen. In einem demokratischen Rechtsstaat muss zwingend davon ausgegangen werden können, dass die AkteurInnen der Wahrheit verpflichtet sind. Im Hinblick auf die Argumentation der Schlammschlacht-Aktivisten Blocher, Köppel, Lei ist diese Argumentation geradezu höhnisch, sind doch diese nachweislich auch in anderen Zusammenhängen bei unwahren Aussagen erwischt worden – bemerkenswert, dass etwa Herr Lei nur noch mit der Stimme seines Anwalts spricht.

Im übrigen: der Tages-Anzeiger zeigt Kopien der relevanten Mails. Wer der Ansicht ist, diese Dokumente würden irgendwelche aktive Beteiligung von Herrn Hildebrand am Dollarkauf nicht ausschliessen, hat schlicht Wahrnehmungprobleme – oder glaubt an Fälschungen, somit Verschwörungstheorien.

Tragisch und eines Rechtsstaates unwürdig ist, dass es Blocher und Co. über eine Schlammschlacht, mit definitiv faschistoiden Ansätzen also, geschafft haben, die Spitze der Nationalbank zu destabilisieren – wo Argumente nicht weiterhelfen, macht es offenbar Schlamm möglich. Ein schlechtes Vorzeichen für die Zukunft! Was dem alternden Milliardärs-Autokraten Blocher nicht passt, wird einfach weggeschlammt. Einmal mehr hat sich der vereinigte $VP-Medien-Stammtisch-Mob gegen Exzellenz durchgesetzt. Und gerade auch mit seinem Rücktritt führt Herrn Hildebrand nochmals seine Exzellenz vor.

Es braucht Konsequenzen aus diesem antidemokratischen und kriminellen Vorgehen von $VP-Verantwortlichen.

  • Was ich schon lange verlange: die $VP ist zu verbieten, sie ist nachweislich keine demokratische, auf rechtsstaatliche Grundsätzen aufbauende Partei.
  • Es ist sicherzustellen, dass die Medienzugänglichkeit für $VP-VertreterInen deutlich strikter gehandhabt wird – Meinungsfreiheit erfordert einen verantwortungsbewussten Umgang mit Meinungen und Fakten. In diesem Fall wurde einmal mehr bewiesen, dass die $VP-Vertreterinnen mit dieser Verantwortung nicht umgehen können.
  • Ex- und Neo-Nationalrat Blocher ist das passive und aktive Stimm- und Wahlrecht nicht mehr zu gewähren. Er hat dem demokratischen Rechtsstaat allein mit dieser Schlammschlacht unreparablen Schaden verursacht. Geradezu krankhafte Rachsucht ist nun mal kein zukunftsgerichteter Beitrag.
  • Für Whistleblowing sind die Strafen deutlich zu verschärfen – die bisherigen CH-Beispiele belegen eindeutig, dass Whistleblowing mit einem demokratischen Rechtsstaat nicht verträglich ist. Stattdessen ist in Schulen, Unternehmen und Verwaltungen intensiv Wissen über Prozesse und Verfahren zu vermitteln, damit echte oder vermeintliche Missstände auf konstruktiver Basis behoben werden können.
  • Da die Lohngefälle zwischen Normalwirtschaft und Finanzindustrie nicht erklärbar sind, ist einerseits die Lohnspanne im Sinne der Initiative 1:12 zu begrenzen, andererseits braucht es endlich Schritte hin zu einem bedingungslosen Grundeinkommen für alle.
  • Die sogenannten Eigenhandelsregelungen für die Nationalbank sind zwar zu verschärfen. Wie es sich allerdings gezeigt hat, ist sogar regelementskonformes Verhalten in $SVP-Willkür-Schlammschlacht-Manier keine Gewähr.

Niemand ist unersetzlich, auch exzellente Kräfte wie Herr Hildebrand nicht. Allerdings müssen offenbar ab sofort exzellente Köpfe, welche nicht im Sinne der $VP agieren, damit rechnen, in faschistoider Weise weggeschlammt zu werden.


Auf die absurden und dümmlichen Ausführungen von Herrn Blocher einzugehen, ist Zeitverschwendung – er offenbart allenfalls, dass er ziemlich schlecht abschneiden würde bei einem PISA-Test. Ein weiterer Beleg für die Forderung nach Nicht-Gewährung der aktiven und passiven bürgerlichen Rechte.


Wie auch schon gesagt, grosse Vermögen sind nicht für viele Menschen Alltag. Selbst eine passive Vermögensverwaltung heisst nicht automatisch „Bankbüchlein“. Wenn insbesondere der Mob – mit Echo bei den Medien und der Politik – Sätze wie „ein absolutes Verbot von Währungsgeschäften für Mitglieder des SNB-Direktoriums wäre nicht die schlechteste Variante“ von sich gibt, werden erstens potentielle BewerberInnen in bi-nationalen Partnerschaften ausgeschlossen und zweitens eine für solche Paare durchaus zweckmässige Regelung – hälftige Teilung des Vermögens auf die relevanten Währungen – zum Vorneherein ausgeschlossen. Mit anderen Worten: selbst exzellente BewerberInnen wie Herrn Hildebrand könnten gar nicht mehr Direktionsmitglieder der Nationalbank werden. Ein weiterer Erfolg der Schlammschläger – oder selbst bei unwichtigen Fragestellungen bestimmt immer mehr die $VP die Denke.


Nachtrag 11.1.2012

Ich staune, was diverse Schreiberschaften aus den Mails herauslesen. Zu beachten: all die Mails wurden in Englisch verfasst, für keinen der Beteiligten ausschliessliche Muttersprache. Und sie werden auf Deutsch übersetzt – wahrscheinlich von den Google-Übersetzungstools, welche mit Sicherheit nicht auf Bankjargon getrimmt wurden. Ich bleibe dabei: da haben einige tumbe $VP-Köpfe eine Schlammschlacht inszeniert, um einen ihnen missliebigen brillanten Kopf wegzuschlammen. Auf der anderen Seite hat gerade die Transparenz des Verhaltens des Ehepaars Hildebrand, das nichts zu verstecken hatte und hat, es diesen Schlammern einfach gemacht. Es ist, wie es Kashya Hildebrand sagt: wenn sie Insiderwissen hätte nutzen wollen, wäre sie ganz anders vorgegangen. Fakt ist: zukünftig werden sich die Leitungsverantwortlichen der Schweizerischen Nationalbank und ihre Familienangehörigen im Bezug auf das eigene Vermögen entmündigen lassen müssen, um diesen Job ausführen zu können. Spannend: dürfen sie damit rechnen, dass die Rendite ihres Vermögens dem Marktdurchschnitt entspricht, oder haben sie auch eine allfällige Misswirtschaft dieser ausgelagerten Vermögensverwaltung zu akzeptieren? Und wird der/die EhepartnerIn einer leitungsverantwortlichen Person überhaupt noch ein Unternehmen führen dürfen, welches nicht ausschliesslich mit Schweizer Franken funktioniert?

Ich wiederhole nochmals: die meisten SchweizerInnen haben gar keine solchen Probleme zu bewältigen, weil sie glücklicherweise nicht über solche Vermögenswerte verfügen. Andererseits sind die gleichen SchweizerInnen, wie ihr Abstimmungsverhalten zeigt, grossmehrheitlich für das aktuelle Wirtschaftssystem – mit extremen Spannweiten der Einkommen, mit Boni und dergleichen. Man kann nicht derart grosse Löhne bezahlen, und dann überrascht sein, dass selbst bei passiver Vermögensbewirtschaftung Aktien und Devisen ins Spiel kommen. Aber eben, der Mob zelebriert ja solche Widersprüche.


Nachtrag 12.1.2012

Am 12.1.12 titelt der Tagesanzeiger endlich „Hildebrand, ein Spekulant?„. Unendlich lange hat es gebraucht, bis man auch beim Tagesanzeiger die Fragezeichen gefunden hat. Im Lead des Artikels steht weiter: „Die Affäre um Philipp Hildebrand ist auch ein Krieg der Worte. Zeit für eine Klärung.“ Das ist genau das, was ich bereits in meinem ersten Blogbeitrag verlangt habe. „Zeit für eine Klärung“ heisst: endlich mal den eigenen Denkapparat einsetzen, und sich nicht wie immer von Herrn Blocher manipulieren lassen! Um des Wortwitzes willen endet der Artikel etwas plump: die Bezeichnung der Familie Hildebrand als SpekulantInnen wird als spekulativ bezeichnet!

Im Duden steht zu Spekulation: auf blossen Annahmen, Mutmassungen beruhende Erwartung, Behauptung, dass etwas eintrifft. Ein Beweis mehr für die stattgefundene und immer noch stattfindende Schlammschlacht!


Nachtrag 13.1.2012

Noch einen Tag später schafft es auch die NZZ, endlich den Sachverhalt einzuordnen. Die Stunde der Selbstgerechten ist der Kommentar von Markus Spillmann betitelt, mit Aussagen wie „Dem korporatistisch geprägten Milieu dieser Alpenrepublik aber bleiben sie letztlich suspekt, vor allem dann, wenn sie in ihrer Person Erfolg, Macht und Vermögen vereinen. Stolpern sie, dann werden sie noch so gerne fallengelassen.“ oder „In solchem Klima gedeihen die Stillen, Unauffälligen, Mutlosen, aber auch Taktierer und Opportunisten. Es begünstigt das Mittelmass, nicht Exzellenz.

Warum braucht es so lange, bis die JournalistInnen ihr Gehirn einschalten?

Erste Fassung: 9.1.2012