Wichtiges Element von demokratischen Rechtsstaaten ist die unbedingte Öffentlichkeit staatlichen Handelns. Wenn etwa die USA, Grossbrittanien oder Schweden geradezu hysterisch reagieren, wenn das Gerücht aufkommt, Wikileaks könnte mehrere hunderttausend Geheimdokumente veröffentlichen, dann lässt dies befürchten, dass es offenbar Geheimnisse in diesen Staaten gibt, die die Öffentlichkeit nicht wissen darf. Solche Geheimnisse sind allerdings Gift für Rechtsstaat und Demokratie. Darum gibt es nur eines: Staaten müssen ihre Geheimdienste abschaffen.
Bekannt ist, dass wissentlich falsche Geheimunterlagen entgegen den UN-Satzungen zum Krieg einer internationalen Angriffsarmee gegen den Irak geführt haben – mit dem zwar allgemein als positiv akzeptierten Ergebnis, dass ein Diktator verschwand, mit der allerdings damit verbundenen Folge, dass der Gewalt-Terror umso heftiger die Gegenwart und Zukunft des Iraks prägt.
In Afghanistan herrscht seit dreissig Jahren Krieg, ohne erkennbare Veränderung zu einer freiheitlichen, friedlichen, selbstbestimmten Entwicklung. Die diversen Drohneneinsätze gegen Menschen etwa sind kriegsvölkerrechtlich unakzeptabel („meuchlerische Tötung“ ist nach den Haager Grundsätzen nicht zulässig) – nicht ohne Grund verlangen die deutschen Grünen ein Ende der Drohneneinsätze.
Wenn sich die USA und andere Staaten in derart plumper Form gegen die (vermutete oder tatsächliche) Wikileak-Veröffentlichung von Dokumenten wehrt, mag dabei die potentielle Gefährdung von Truppen in den Kriegsgebieten mehr sein als nur ein Vorwand. Angesichts der erheblichen menschlichen Verluste in diesen Gebieten stellt sich allerdings die Frage, ob es nicht die militärische Präsenz an und für sich ist, die diese Risiken schafft.
Schon mit dem fragwürdigen „Gefangenen“-Lager im US-Stützpunkt Guantanamo hat die USA wesentliche Elemente der Demokratie und des Rechtsstaates, für welche sie in anderen Weltgegenden vorgibt zu kämpfen, in Frage gestellt. es ist davon auszugehen, dass diese Geheimdokumente weitere „Bad News“ in diese Richtung enthalten können. Die staatspolitisch wesentlich kritischeren Auswirkungen der Veröffentlichung bis anhin geheimer Unterlagen entstehen aus dem damit verbundenen Vertrauensverlust in die politisch und militärisch verantwortlichen Instanzen. Eine Oeffentlichkeit, die erkennt, dass sie bis anhin über Motive, Hintergründe und Vorgehensweisen belogen wurde wird nicht mehr im gleichen Mass bereit sein, die immensen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, die hohen Verluste an Menschenleben zu akzeptieren [wahrscheinlich wird erst die geschichtliche Analyse zeigen, ob die Weltwirtschaftskrise im Herbst 2008 ausschliesslich auf die Grenzen des Giers zurückzuführen sind oder ob auch die „Geldvernichtung durch Kriege“ ursächliche Wirkung hatte]. Da derzeit global betrachtet die verschiedenen politischen und weltanschaulichen Systeme und Mächte ihre hegemonialen Ansprüche stellen (siehe auch Beitrag zur Abstimmung über Ausschaffungsinitiative) ist derzeit System-Glaubwürdigkeit ein dezentraler Aspekt, etwa mit der Frage „Darf ein Staatengebilde die eigenen Grundsätze und Haltungen aufgeben, um kurzfristige Erfolge zu erreichen?“. Oder anders: Wer einmal lügt (siehe damalige US-Position zum Irak), muss entweder weiterlügen (und alles geheim halten) – oder hält sich an die Wahrheit und an nichts anderes.
Darum eine Aufforderung an die Regierenden: schaffen Sie endlich die Geheimdienste ab und realisieren Sie das umfassende Öffentlichkeitsprinzip – dann braucht es auch Wikileaks nicht mehr!