Vier Bundesrätinnen, zwei Bundesräte und ein Museumsdirektor

Ist es überhaupt erwähnenswert, dass derzeit im Schweizerischen Bundesrat mehrheitlich Frauen einsitzen? Aus der Optik der Geschichtsschreibung ja, aus gesellschaftlicher Optik nein: das Geschlecht einer Person hat keine Rolle zu spielen nicht nur bei der Besetzung von politischen Mandaten. Festhaltenswert ist demgegenüber, dass ein Mann im Bundesrat sitzt, der sich als Museumsdirektor versteht.

Bundesrats-Wahlen sind derart antiquiert und aufgrund taktischer Spielchen dermassen ad absurdum geführt, dass eine Reform dringlich ist: Erhöhung der Anzahl Bundesrats-Mitglieder von heute sechs auf neu neun Mitglieder, Proporzwahl, keine Einzelrücktritte, sondern immer Gesamterneuerungswahlen.

„Heute sechs Mitglieder“ ist kein Verschreiber – ich bin mir selbstverständlich bewusst, dass der Bundesrat nominell aus sieben Mitgliedern besteht. Aber: der Departementschef VBS Ueli Maurer kann nicht wirklich als Bundesrat bezeichnet werden. Er reduziert nach wie vor Sicherheit auf ein museales Verständnis von Gewalt als Problemlösungswerkzeug – obwohl längst bekannt ist, dass Gewalt nicht als Problemlösungstrategie taugt und somit geächtet gehört. Das Sicherheitsgefühl als Beitrag zum Wohlergehens wird im Gegenteil durch eine Armee, die alles, was nach Bedrohung aussieht, ohne Rücksicht auf Verluste („Kollateralschäden“) mit Gewalt und damit massiver Zerstörung bekämpft. So ist festzuhalten: die SVP ist (glückerweise) nur durch einen Museumsdirektoren im Bundesrat vertreten und hat eine gewählte SVP-Bundesrätin aus der Partei gemobbt.

Nachdem mit der Wahl von Alt-Nationalrat Christoph Blocher in den Bundesrat ein Geheimplan seiner Nachkommen für die in der Schweiz meist problematische Nachfolgeregelung in Unternehmerdynastien in dieser Hinsicht erfolgreich war, scheint diese Methode der Nachfolgeplanung am Beispiel Johannes Schneider-Ammann auch bei der FDP ausprobiert zu werden. Zu beachten sind dabei mindestens zwei Schwierigkeiten: so viele Exekutiv-Jobs gibt es in der Schweiz gar nicht, wie es für das Erzwingen aller Nachfolgeregelungen in Familienunternehmen brauchen würde. Ob es tatsächlich lösungsorientiert ist, wenn von unternehmerischen Ambitionen entlastete ältere Herren in den Bundesrat gewählt werden? Warten wir doch mal mindestens 100 Tage ab 🙂

Der tumbe Konsumismus – Geiz-ist-Geil-Kultur – wurde von Frau Simonetta Sommaruga mitgeprägt; unterdessen ist längst Allgemeingut, dass ein verantwortungsbewusster Konsum, welcher emanzipierte KonsumentInnen erfordert, gerade für ein Land wie die Schweiz mit übermässigem grossem ökologischem Fussabdruck zwingend ist. Soziale (fairer Handel) und ökologische Komponenten gehören zwingend zum Konsumentenschutz – die Zukunft liegt bei LOVOS (Lifestyle of Voluntary Simplicity – also vorsätzlich und bewusst weniger Konsum). Auf der Internet-Seite von Frau Sommaruga ist dazu kaum etwas zu finden – Klimaschutz etwa kommt als Begriff nicht vor. Die Mitgliedschaft im Vorstand von „Allianz Energetische Gebäudesanierung – JETZT!“ ist zudem keine Qualifizierung: da sind alle Parteien vertreten, die SVP etwa durch Jean-François Rime. Zudem hat die von dieser Allianz gepushte Teilzweckbindung der CO2-Abgabe dieses marktwirtschaftliche Instrument sowohl politisch wie wirkungsmässig erheblich entwertet.


Nach den Wahlen ist vor den Wahlen. Manchmal gibt es geradezu fiese – oder so ich schreiben entlarvende? – Umfragen. „Weniger gebildete Zürcher wählen häufig SVP“ hiess es da etwa am 20.9.2010, zwei Tage vor der Bundesratswahl am 22.9.2010 – ähnliche Aussagen gab es schon früher. Perfid ist nun allerdings, dass der Präsident der Schweizerischen SVP, Toni Brunner, alles daran setzt, die statistischen Aussagen zu bestätigen. Gemäss Medienberichten hat Herr Brunner gesagt, dass er bei Ausbleiben von 2 SVP-Sitzen bei den nächsten Bundesratswahlen für den Systemwechsel und damit für ein Regierungs- und Oppositionssystem sei, wobei die Regierungs- (oder wahrscheinlicher die Oppositions-)Koalition von der SVP gebildet und geführt werde.

Es scheint, als habe die SVP, vielleicht auch nur Toni Brunner, die wesentlichen Unterschiede zwischen einer direkten und einer repräsentativen Demokratie nicht verstanden. In einer direkten Demokratie liegt die Veto-Macht bei den Stimmberechtigten, was dem Parlament ein grösseres Gewicht verleiht als der Exekutive. In repräsentativen Demokratien äussern sich die Stimmberechtigten nicht zu inhaltlichen Fragen, sondern beurteilen in längeren Zeitschritten die gefühlte Wirkung der Regierungspolitik. In ziemlich vielen Ländern mit diesem System sind diese Mehrheiten hoch volatil – und selbst in Deutschland hat die parlamentarische Mehrheit nicht einmal die Mehrheit der Stimmberechtigten hinter sich.

Dies heisst: wenn die SVP dermassen viel Gewicht auf den Bundesrat legt, will sie davon ablenken, dass die eigentliche politische Arbeit im Parlament erfolgt. Angesichts der dürftigen Programmpunkte der SVP, von einem Parteiprogramm kann nicht wirklich die Rede sein, und auch bei Diskussionen über Sachthemen enttäuscht die nicht wirklich wahrnehmbare Sach- und Fachkompetenz der SVP-VertreterInnen. Sowohl die Vorstösse als auch die Voten der SVP-ParlamentarierInnen weisen auf kaum vorhandene Innovationsfähigkeit hin – es dominiert auch im Parlament die typische SVP-Zechpreller-Mentalität. Wenn man zukunftsgerichtete Politik realisieren will, reicht die finanzielle Potenz schnell alternder autokratischer Milliardäre (Blocher, Frey, usw) wirklich nicht. So betrachtet ist die Forderung nach einem Mehrheits- und Minderheitssystem ein nicht wirklich überraschendes Unfähigkeits-Eingeständnis der SVP – womit wir wieder bei den statistischen Aussagen über den Zusammenhang von Bildung und gewählten Parteien wären.