Leoluca Orlando, Bürgermeister von Palermo, nennt in einem Interview Berlusconi als einen, der die Vulgarität zum Lebensstil erhoben hat. Vulgarität heisst für Leoluca Orlando: „Die Unterschiede zwischen Kontrolleur und Kontrolliertem, zwischen Käufer und Verkäufer, zwischen Lehrer und Schüler, zwischen Staat und Markt wurden verwischt.“ Auch die Schweizerische Demokratie zeigt erhebliche Anzeichen der Vulgarität. Das kann nicht die Zukunft des Gemeinwesens sein.
Stichwort „Carlos“. Einzelne bis mehrere Medien, vorsätzliche AnstifterInnen der Vulgarität, nennen eine aus dem Zusammenhang gerissene Zahl über die monatlichen Kosten eines Sondersettings für einen ziemlich auffälligen Jugendlichen. Die Online-Stammtische dampfen – die Meinungen sind gemacht. Unfähige Fachleute seien da am Werk, das sei eine Verhätschelungsindustrie, da brauche es einfach etwas Härte. Leoluca Orlando nennt oben die verwischten Unterschiede zwischen ExpertInnen und LaiInnen nicht, möglicherweise darum nicht, weil das Bonmot sagt, dass es keinen Unterschied gebe: ExpertInnen wüssten von sehr wenig ganz viel, und LaiInnen wüssten von sehr viel ganz wenig.
Direkte Demokratie ist eine Staatsform, die davon ausgeht, dass Nicht-Informierte, absolute LaiInnen weitreichende Entscheide fällen. In ihrem persönlichen Umfeld tun sich viele Menschen schwer mit diversen Entscheiden, weil sie nicht beurteilen können, ob sie mit den auf sie rückwirkenden Folgen ihrer individuellen Entscheide umgehen können. Wie diverse Beispiele der letzten 20 Jahre zeigen, haben diverse Volksentscheide zu unerwarteten Ergebnissen geführt, verschiedene Anliegen, vor allem solche mit Ausrichtung auf den Schutz der Umwelt, konnten bei weitem nicht in versprochenem Umfang ausgeführt werden, andere, vor allem im Bereich der Steuern, sind ursächlich für die aktuelle schwierige Finanzlage vieler Gemeinwesen verantwortlich.
Tatsache ist, dass die Vulgarität und deren Botschafter, in Italien Silvio Berlusconi, in der Schweiz etwa Alt-Bundesrat und Alt-Nationalrat Christoph Blocher, die populistischen Empfehlungen zusätzlich mit viel viel Geld in der Bevölkerung verankern können. Auch dieses Bonmot ist uralt: für eine Million könne ein Werber (von Werberinnen wurde damals nicht gesprochen) aus einem Kartoffelsack einen Bundesrat machen. Eigentlich würde die Hälfte reichen, leider sei nicht bekannt, welche Ausgaben nicht erforderlich seien. Nun, dass aus Kartoffelsäcken Bundesräte werden sollen, ist ja durchaus ein Hinweis auf die aktuelle Vulgarität, was ja auch in der Praxis bestätigt wird (siehe Gripen) – diese Aussage kann nicht als Vulgarität betrachtet werden. Die Frage wäre also eher: welche halbe Million muss nicht ausgegeben werden, damit ein Kartoffelsack sicher nicht Bundesrat wird.
Aus eigener Erfahrung ist mir bekannt, dass sich Fachwissen und direkte Demokratie extrem schlecht vertragen – Politik funktioniert vor allem durch Nicht-Wissen und Einschätzung von Meinungsäusserungen, abhängig von der Herkunft dieser Äusserungen, der persönlichen (oder unternehmerischen) Betroffenheit, dem sozialen und einkommensmässigen Status der AbsenderInnen dieser Meinungsäusserungen – Politik ist Meinungsmarketing, das öffnet Tür und Tor für Vulgarität.
In diversen Ländern kommt es regelmässig vor, dass nach einer Phase, in der die Vulgaritäts-ManagerInnen das Sagen hatten, exporto- oder techno-kratische Regierungen angesagt sind. Diese haben dann den Auftrag, lösungsorientiert das in den Griff zu bekommen, was die VulgaristInnen aus allen Parteien verbockt haben.
Eine der zentralen Herausforderungen der Demokratie ist es, den Ausgleich zwischen individuellen und gemeinschaftlichen Interessen mehrheitsfähig auszugestalten. Nur schon die Klärung von „individuell“ und „gesellschaftlich“ braucht eine grosse Bereitschaft, aus den Vorstellungen des eigenen Weltbildes herauszukommen – die Entwicklung des Begriffes „nachhaltige Entwicklung“ von der kollektiven Zukunftshoffnung bis zur Beliebigkeits-Leerformel hat beispielsweise nur gerade 20 Jahren gedauert und nicht wirklich zur Klärung beigetragen über den Umgang der Gesellschaft mit Allgemeingütern wie dem Weltklima oder den (begrenzten) Ressourcen aller Art.
Zum Abschluss einige weitere Sprüche gegen die Vulgarität!
Man muss die Dinge so einfach wie möglich machen. Aber nicht einfacher. Albert Einstein
Man kann ein Problem nicht mit den gleichen Denkstrukturen lösen, die zu seiner Entstehung beigetragen haben. Albert Einstein
Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin, und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge. Kurt Marti
The problem with the world is that the intelligent people are full of doubts, while the stupid ones are full of confidence. Charles Bukowski
Most of the problems in life are because of two reasons: we act without thinking or we keep thinking without acting. The Internet