Wenn der Mittelweg weder golden noch nachhaltig ist

Häufig gilt eine pragmatische Vorgehensweise – gerne als goldener Mittelweg bezeichnet – als akzeptabler Entscheidungsweg. Gerade in ökologischen Fragen ist ein solcher pragmatischer Mittelweg allerdings weder golden noch nachhaltig. Dies lässt sich etwa an der Energiepolitik der Familienheim-Genossenschaft Zürich (FGZ) zeigen.

Nach den Fehlentscheiden der Genossenschaft zu den Nicht-Grünmatt-Ersatzneubauten ist – bei allem guten Willen – davon auszugehen, dass auch diese „neue Energiepolitik“ (dargestellt etwa in der FGZ-Info 2010 / Nr. 3) der FGZ nicht wirklich zukunftsfähig ist.

Vorerst ist es verdienstvoll, dass sich eine Genossenschaft Gedanken macht zur Wärmeversorgung ihrer Bauten. Allerdings handelt es sich offenbar um einen ungünstigen Zeitpunkt, verunsichert doch die groteske Diskussion über Strategien gerade auch die verantwortungstragenden Gremien einer Genossenschaft: während die Stimmberechtigten der Stadt Zürich der Vision der 2000-Watt-Gesellschaft zugestimmt haben, welche sowohl eine Verminderung des Primärenergieverbrauchs als auch eine Reduktion des Ausstosses von Treibhausgasen umfasst, setzen einige wenige ETH-ProfessorInnen auf in Konzept, welches im Gebäudebereich vor allem auf die Verminderung des Ausstosses von Treibhausgasen fokussiert. Die Vision der 2000-Watt-Gesellschaft ist ein Komplett-Konzept, welches die Fragen der individuellen Ansprüche (ökologischer Fussabdruck), des Technologieeinsatzes (Effizienz) und der ökologischen Qualitäten der eingesetzten Energieträger und -quellen einbezieht. Das ETH-Konzept ist demgegenüber ein Teilansatz, welcher im wesentlichen eine Fortsetzung der bisherigen Arbeits- und Denkweisen mit Modifikationen in einem Teilbereich (Einsatz erneuerbarer Energien anstelle von fossilen Energien – bereits bei der Atomenergie gehen die Meinungen dieser Professoren erheblich auseinander) erlaubt. In breit anerkannten Fachkreisen steht eindeutig die 2000-Watt-Gesellschaft im Vordergrund: z.B. Diskussionspapier, Blog-Beitrag.

Wie geht nun die FGZ mit diesem absurden Disput um? Da heisst es: „Es streiten sich jene, für welche die perfekte oder gar maximale Gebäude-Dämmung das einzig richtige ist, mit denjenigen, die pointiert sagen, dass es eigentlich nur darauf ankommt, dass man CO2-freie Energie einsetze, zumal diese im Überfluss vorhanden sei. – Die FGZ und ihre „Arbeitsgruppe Energie“ möchte sich von keiner Seite dieser polarisierten Diskussion vereinnahmen lassen. … Es könnte ja sein, dass die Lösung darin liegt, die beiden Ansätze zu kombinieren. Und genau das möchte die FGZ tun. – … basiert auf einer eher sanften Sanierung der Altbauten.“

Abgesehen davon, dass die Diskussion nicht richtig dargestellt wird – das 2000-Watt-Szenario ist (siehe oben) ein Komplett-Szenario, das Nur-Erneuerbare-Szenario ein Teilaspekt – verschliesst sich die FGZ mit diesem scheinbaren Mittelweg einer ernsthaften Diskussion darüber, was denn „eher sanfte Sanierung der Altbauten“ exakt heisst, die Suffizienz-Frage (Flächenbedarf pro BewohnerIn) wird ausgespart, ebenso das Verkehrsverhalten der NutzerInnen, der Umgang mit dem Stromverbrauch der MieterInnen/GenossenschafterInnen und das Konsumverhalten. Mag sein, dass Genossenschaften in dieser Hinsicht bereits gut dastehen – andererseits ist auch der aktuelle durchschnittliche ökologische Fussabdruck der GenossenschafterInnen deutlich grösser als weltverträglich!

Warum kann sich dies die FGZ leisten? Das Vernebelungswort heisst „Abwärme“! Sommer-Abwärme, die derzeit bei der Swisscom und der Credit Suisse aus grossen Computer-Server-Einrichtungen anfällt, soll über grössere Distanzen herangeführt werden und in Erdspeichern eingelagert werden, um im Winter zumindest zum Teil dem Speicher wieder entzogen zu werden und mittels Wärmepumpen auf das für die Raumheizung und die Wassererwärmung erforderliche Temperaturniveau gebracht zu werden. Tönt im ersten und wahrscheinlich auch im zweiten Moment gut, sehr gut sogar.

Allerdings gibt es einige Knackpunkte.

Auch wenn ich seit rund dreissig Jahren die Entwicklung im Computerbereich speziell auch unter Energieaspekten verfolge, wage ich keine Prognose über den Stromverbrauch eines Banken-Rechenzentrums und damit verbunden den sommerlichen, nicht anderes nutzbaren Abwärmeanfall. Zur Illustration: Noch Mitte der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts brauchte ein Harddisk mit einem Speicherplatz von einigen hundert MB eine dauernde Kühlung – nicht zuletzt dank relativ jungen, aber bereits mit dem Nobel-Preis ausgezeichneten Forschungen sind unterdessen hosensacktaugliche Speichermedien mit 1000 mal grösserem Volumen verfügbar, die auch bei längerer Benutzung kaum erwärmt werden. Objektiverweise ist ein Energiekonzept für das Jahr 2050, welches auf Abwärmequellen von derart schnelllebigen Technologien aufbaut, schlicht und einfach fahrlässig.

Dazu kommt, dass nach wie vor Erdgas benötigt wird – auch wenn selbst die überkonservative Internationale Energie-Agentur unterdessen von einem absehbaren Ende der fossilen Energieträger ausgeht!

Die vorgesehenen Erdspeicher (wenn sie denn geologisch funktionieren und die eingelagerte Wärme sich nicht im austrocknenden Lehm über die Uetliberg-Wässerchen verflüchtigt) sollen im Zusammenhang mit Neubauvorhaben erstellt werden. Wie einfach rückholbar eine einzelne defekte Erdwärmesonde sein wird, darüber dürften sich wahrscheinlich erst zukünftige Generationen Gedanken machen – ob dies allerdings nachhaltig ist?

Derzeit bereitet Minergie einen Standard Minergie-A für Wohnbauten vor – Plus- oder Null-Wärmeenergiehäuser (im übrigen auch in der EU eine zukünftige Anforderungen an Neubauten). Die Ersatzneubausiedlung Nicht-Grünmatt dürfte weit davon entfernt sein, derartige Anforderungen zu erfüllen. Mit anderen Worten: diese ganze Abwärme-Erdspeicher-Konzeption ist nur darum erforderlich, um sowohl die schlechte energetische Qualität dieses Neubaus als auch der „eher sanften Sanierung der Altbauten“ zu kaschieren.

Dass bereits wieder unter Zeitdruck über die erste Etappe eines solchen Erdspeichers entschieden werden muss, ist mehr als ärgerlich: zusammen mit der wegen der Deklaration als pragmatisch Mittelweg blockierten Diskussion über die Energieziele ist einmal mehr die demokratische Entscheidungsfreiheit der GenossenschafterInnen ausser Kraft gesetzt, denn ein Nein zu diesem alles andere als nachhaltigen Konzept führt zu einem grösseren Scherbenhaufen. Liebe GenossenschafterInnen, liebe Genossenschafter: den Abend des 28. Februar 2011 müssen Sie sich also nicht für die a.o. GV der FGZ freihalten!


Was wären denn die Alternativen?

Vorerst eine eindeutig an den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft orientierte Gebäudebewirtschaftung. Der Energieeverbrauch im Gebäudebestand unter Einbezug der (Ersatz-)Neubauten und der baulichen Verdichtungsmöglichkeiten kann schneller und deutlicher vermindert werden als von der FGZ vorgesehen.

Als eine der grösseren Eigentümerschaften nicht nur auf dem Platz Zürich hat es die FGZ in der Hand, hier Akzente zu setzen. Aus rein bautechnologischer Sicht steht die Bauwirtschaft nach wie vor in den Anfängen der umfassenden Erneuerung von Bauvorhaben. Warum eigentlich gibt es bei Sanierungsvorhaben nur immer einen Konkurrenzkampf um den Ausführungspreis, nicht aber um die Qualitäten eines solchen Vorhabens (z.B. kostengünstig, einfach, Umsetzungsgeschwindigkeit, …)? Das Festhalten der FGZ an der „eher sanften Sanierung der Altbauten“ hat auch damit zu tun, dass auch hier wieder zu stark auf die Vergangenheit geschaut wird (stimmt, das Energie-Know-how der Baubranche ist tatsächlich mangelhaft). Wer bereits heute für die nächsten 40 Jahre „sanfte“ Sanierungen postuliert, unterstellt, dass die Bauwirtschaft nicht lernfähig ist. Nur: auch im genossenschaftlichen Wohnungsbau gibt es – sowohl bei Neubauten wie bei Sanierungen – die 2000-Watt-Gesellschaft-konformen Bauvorhaben zu genossenschaftsüblichen Konditionen! Allerdings muss man sie bestellen, muss klare Rahmenbedingungen setzen – dies gilt gerade auch für den Zusammenhang von energetischer/ökologischer Qualität und Mietzins!

Und die Wärmeversorgung? Aus fachlicher Sicht komme ich zum Schluss, dass sich die Wärmeversorgung eines Quartiers ideal an einen oder auch mehrere Energie-Contractor auslagern lässt, selbstverständlich auch hier verbunden mit einem klaren ökologischen und ökonomischen Leistungsauftrag (und ein solcher wäre auch genossenschaftsdemokratisch verträglicher als das Nachvollziehen objektiver oder scheinbarer Sachzwänge). Auch hier wieder also: Wettbewerb der guten Ideen, unter Einbezug ökologischer und ökonomischer Aspekte! Die Energieversorgung der 2000-Watt-Gesellschaft wird sich durch einen bunten Energieträgermix aus erneuerbaren Quellen auszeichnen – mit Sicherheit gilt dies auch für die FGZ. Es mag sein, dass in einzelnen Teilbereichen sogar Erdspeicher aus Abwärme mit dazu gehören, aber eher nicht in der jetzt vorgeschlagenen Form.


Auffällig im übrigen: der gesamte Artikel in der FGZ-Info 2010 / Nr. 3 zur „Energiepolitik“ enthält keinen Bezug zur 2000-Watt-Gesellschaft (und dies obwohl voraussichtlich auch die in Angelegenheit der Stadt Zürich stimmberechtigten FGZ-GenossenschafterInnen am 30. November 2008 deutlich Ja zur Verankerung der 2000-Watt-Gesellschaft in der Gemeindeordnung der Stadt Zürich gesagt haben – die BewohnerInnen des Kreises 3 mit über 80 % Ja-Anteil sogar noch deutlicher als der „Rest“ der Stimmberechtigten)! Die 2000-Watt-Gesellschaft folgt einige Seiten später, unter „Tipps zum (Energie)Sparen“, mit einem mehr als berechtigten Appell an jede und jeden Einzelnen. Glaubwürdig wird dies allerdings erst, wenn sich die Genossenschaft – als Zusammenschluss vieler Einzelner – ebenfalls auf das Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft verpflichtet!


Auch wenn der pragmatische Mittelweg in der Energiepolitik manchmal verlockend erscheint (andere haben diesen Pragmatismus auch bereits als „Wurstelszenario“ eingestuft), bleibt das Gesamtkonzept der 2000-Watt-Gesellschaft die Vorgabe für die Energiepolitik auch einer grösseren Wohnbaugenossenschaft! Dazu muss die vom FGZ-Vorstand in der FGZ-Info 2010 / Nr. 3 vorgestellte Vorgehensweise deutlich nachgebessert werden!