Herr Alt-Nationalrat Blocher irrt regelmässig und ist der grosse Verführer der SVP. Seine Frau Silvia Blocher äussert sich auch regelmässig, und auch sie irrt respektive will verführen. Als ein weiteres Beispiel: Ihre Breitseite „So stehts um die Schweizer Primarschule“ im Auto-Anzeiger (früher Tages-Anzeiger) vom 25. Mai 2009.
Einzig ausgehend von der nachweislich falschen Behauptung, ein Kind brauche eine stabile Beziehung zur einen und genau einen Lehrperson als Bezugsperson, versteigt sich Frau Blocher in hochgradigen Unsinn und absurde Forderungen.
Nun ist es selbstverständlich so, dass alle Menschen in Bildungsfragen ExpertInnen sind, und allein wegen ihrer in der Regel mehrjährigen persönlichen Erfahrungen mit dieser Institution anschliessende Urteile zu fällen. Allerdings ist die Schule kein Kehrichtkübel, der einfach alle populistischen Anliegen sammelt und die SchülerInnen damit paniert. Gleichzeitig ist zu beachten, dass es selbstverständlich nur immer die zweitbeste Schule geben kann, weil alles und jederzeit verbesserungsfähig ist (ausser selbstverständlich die SVP).
Braucht ein Mensch genau eine Bezugsperson? Nein, definitiv nein! Menschen sind soziale Wesen, eine der zentralen Herausforderungen ist es, sich in diesem sozialen Gespinst zurechtzufinden. Dazu gehört unter anderem die Urteilsfähigkeit, zum Beispiel zur möglichst neutralen Einschätzung anderer Menschen. Es ist nun mal so, dass Menschen unterschiedlich sind, unterschiedliche Fähigkeiten haben, sowohl im intellektuellen, mentalen und emotionalen Bereich. Selbst kleine Kinder können bestens damit umgehen, dass ihre viele Bezugspersonen unterschiedlich sind, unterschiedlich reagieren, unterschiedliche Grenzen setzen. Für die menschliche Entwicklung ist es entscheidend, dass dieser Beziehungsopportunismus gepflegt wird. Es ist meine Pflicht, mich mit allen Menschen zu vertragen, aber es ist nicht meine Pflicht, alle Menschen gleich gut zu mögen!
Was nun, wenn die einzige und alleinige Lehrkraft und die SchülerIn auf keiner Ebene eine gemeinsame Verständigungsbasis finden? Die Erfahrung zeigt beispielsweise, dass der Lernerfolg nicht nur von den didaktischen und pädagogischen Fähigkeiten der Lehrperson abhängig ist, sondern auch eine starke emotionale Komponente wirkt. Gemeinsame Interessen und Eigenheiten sind beispielsweise verstärkende Faktoren für den Lernerfolg. Unterschiedliche Lehrpersonen sind also nicht ein Bildungsrisiko, sondern im Gegenteil die Bildungschance! Im übrigen: Spätestens ab Sekundarschul-Niveau findet der Wechsel zum Mehrpersonen-Lehrkörper so oder so statt.
Oder sorgt sich Frau Blocher um den SVP-Nachwuchs? Denn die SVP funktioniert nur dadurch, dass Menschen bei der Verabschiedung ihrer Lehrkraftbezugsperson direkt zu den SVP-Verführungs-Bezugskräften wechseln. Das Führerprinzip von klein auf!
Wenn mehrere Lehrkräfte gleichzeitig im gleichen Raum unterrichten, wird dadurch die Konzentrationsfähigkeit zumindest zu Beginn tatsächlich stärker gefordert. Allerdings ist zu beachten, dass solche Sequenzen auch wieder abgelöst werden von Fenstern für ruhiges und selbstständiges Arbeiten. Auch hier ist festzuhalten, dass in der Arbeitswelt solche belastenden Situationen zum Alltag gehören.
Frau Blocher widerspricht, wenn sie einerseits korrekt von der Gleichwertigkeit aller Menschen schreibt, diesen dann aber Einheitsunterricht vermitteln will. Die individuelle Förderung der unterschiedlichen Fähigkeiten, welche sich aus der Forderung nach Gleichwertigkeit ergibt, verlangt geradezu nach einem individualisierten Unterricht, sowohl zur Förderung der Fähigkeit als auch zur Beeinflussung der Schwächen. Frau Blocher bleibt wie ihr Mann die Antwort schuldig, wie dies mit der Einpersonenlehrkraft bewältigbar sein soll.