Ich bezeichne mich als legalistischer Velofahrer: Ich halte mich an gesetzliche Verkehrsvorschriften – selbst dann, wenn sie nicht für Velofahrende geschaffen wurden. In der Stadt Zürich werden im Verkehrsgeschehen Velofahrende schlicht und einfach vergessen. Exemplarisch zeigt sich dies am (verkehrsberuhigten) Limmatquai. Auf dieser Strecke hat weder bei der Planung, bei der Realisierung oder beim Betrieb je an Velofahrende gedacht. Als legalistischer Velofahrer meide ich diesen Streckenabschnitt, kalkuliere die Fahrt mit halbem Schritttempo ein oder gehe demonstrativ zu Fuss.
Wenn zu den ach so schlimmen Stadtzürcher Velofahrenden wieder einmal genug SVP-Leserbriefe geschrieben und einige SVP-Gemeinderatsvorstösse eingereicht wurden, macht die Polizei am Limmatquai eine Verkehrskontrolle, wie zum Beispiel am 22. April 2015 von 12 bis 14:30 Uhr. Während diesen 150 Minuten wurden 68 Velofahrende gebüsst, nicht ganz alle 2 Minuten erkannte die Polizei einen Verstoss gegen die Verkehrsregeln durch Velofahrende. Leider wird nicht angegeben, wie viele Velofahrende keine Busse erhalten haben – der 22. April war allerdings ein derart schöner Tag, dass um die Mittagszeit voraussichtlich reger Veloverkehr auf dem Limmatquai herrschte. Es ist davon auszugehen, dass auch hier die Quote der nicht gesetzeskonformen Velofahrenden einen tiefen einstelligen Prozentanteil ausmacht – trotzdem schreibt die Stadtpolizei von «undisziplinierten Velofahrenden» (immerhin gendergerecht).
Welche Gesetzesverstösse haben die Velofahrenden denn zu verantworten gehabt? Mehr als die Hälfte der Gebüssten missachteten das Rotlicht. Einverstanden und ohne Einschränkung ein schwerwiegender Gesetzesverstoss (hier hat es kein Ironie-Smiley, weil dies wirklich nicht ironisch gemeint ist – Rotlicht ist und bleibt Rotlicht, auch für Velofahrende). Sind hier auch jene mitgezählt, die von der Rudolf-Brun-Brücke nach rechts in den Limmatquai abbiegen? Zu beachten wäre dabei, dass Rechtsabbiegen bei Rotlicht an vielen Orten (leider nicht in Zürich) für Velofahrende gestattet ist. Als weitere Illustration der «Velo-vergessen»-Verkehrtplanung: Falls Velofahrende, welche das Limmatquai abwärts fahren, vorschriftsgemäss hinter dem Tram bei der Haltestelle Rudolf-Brun-Brücke warten, die Kreuzung überqueren können, dauert es in der Regel mehrere Minuten: Zuerst ist die Haltestellezeit abzuwarten, dann die Tramwartezeit bis zum grünen Signal (welches bereits während der Tramdurchfahrt auf Rot wechselt). Die Rotphase nach der Tramdurchfahrt ist selbst für Zürcher Verhältnisse extrem lang. Nochmals: dies alles legitimiert nicht dazu, dass Velofahrende Rotlichter überfahren, aber diese Verkehrsführung ist als schikanös und alles andere als velofreundlich zu bezeichnen. Nach bald vierzig Jahren vorgeblicher Veloförderung sind an dieser Stelle deutlich bessere Lösungen möglich! Das Überfahren der Sicherheitslinie (vor allem zum Überholen des wartenden Trams, um eine Grünphase früher weiterfahren zu können), ist im Grundsatz ebenfalls indiskutabel – auch hier sind, siehe oben, bessere verkehrstechnische Lösungen möglich.
Mit diesen beiden Verhaltensweisen sind bereits 7/8 der Gesetzesverstösse erklärt – objektiverweise handelt es sich nicht um undisziplinierte Velofahrende, sondern um die direkte Folge einer untauglichen Verkehrsführung.
Völlig unverständlich ist das letzte Achtel der ausgesprochenen Bussen: Da an vielen, durchaus vergleichbaren Stellen (z.B. Löwenplatz) das Fahren auf dem Trottoir für Velofahrende vorgeschrieben ist, ist nicht erkennbar, warum dies an dieser Stelle nicht zulässig sein soll. P.S. Ich bin kategorisch der Ansicht, dass Velofahrende auf dem Trottoir nichts zu suchen haben, weil es für alle Beteiligten eine Zumutung ist, wenn zu Fuss gehende und Velofahrende den Verkehrsraum teilen müssen, während Autofahrende übermässig Platz beanspruchen können, aber das ist eine andere Frage.
Dieser Beitrag hat eine grundsätzliche Haltung zum Velofahren: Velofahren ist eine nachhaltiges, zukunftsfähige Form des Unterwegsseins, des Verkehrs – im Gegensatz etwa zum heutigen Autoverkehr. Es ist alles daran zu setzen, dass Velofahrende gesetzeskonform und gleichzeitig zügig unterwegs sein können (dieser Anspruch gilt ausdrücklich für Autofahrende nicht). Die aktuelle Situation in Zürich nicht nur am Limmatquai entspricht dieser velofreundlichen Anforderung nicht. Da ist einiges an Nachbesserungen erforderlich. Die Bedürfnisse und Ansprüche der Velofahrende müssen bei Planung, Realisierung und Betrieb von verkehrstechnischen Massnahmen mit hoher Priorität berücksichtigt werden – auch dann, wenn dies zu Einschränkungen für den MIEF, sorry MIV führt.
Warum bin ich als legalistischer Velofahrer unterwegs? Ganz einfach darum, weil ich davon ausgehe, dass der Staat möglichst rasch auch die gesetzlichen Vorschriften in den Bereichen Luftreinhaltung, Lärmschutz und Klimaschutz einhält (was er zwar nicht tut).
P.S. Im Sinne der Transparenz: Ich bin am 22. April 2015 nicht mit dem Velo über das Limmatquai gefahren, bin also nicht in die Verkehrskontrolle geraten. Selbst wenn ich am Limmatquai unterwegs gewesen wäre an diesem Tag, hätte ich als legalistischer Velofahrer keinen der Gesetzesvorstösse begangen.