Am 2. Dezember 2010 hat der Zürcher Regierungsrat den Energieplanungsbericht 2010 veröffentlicht. Dabei behauptet der Regierungsrat, die kantonale Energieplanung sei auf Kurs. Abgesehen davon, dass dies freundlich betrachtet Zweckoptimismus, realistisch eingeschätzt eine blanke Lüge ist, bestätigt der Kanton Zürich einmal mehr, dass er sich definitiv aus der Energiepolitik verabschiedet hat und ausschliesslich Axpo-Aktionärsüberlegungen anstellt. Damit verstösst der Zürcher Regierungsrat gegen die Verfassung aus dem Jahr 2005.
Kann die Energiepolitik auf Kurs sein, wenn nicht einmal die mehr als sanften Kyoto-Klimaschutzziele eingehalten werden können? Kann man einfach zur Tagesordnung übergehen, wenn die Stromwirtschaft eine „Stromlücke“ (die zwar eine eigentliche Denklücke darstellt, und im Energieplanungsbericht neu als Stromeigenversorgungslücke bezeichnet wird) verkündet und als Reaktion darauf drei neue Atomkraftwerke in der Schweiz bauen will, obwohl insbesondere aus Nachhaltigkeitsüberlegen KEIN AKW erforderlich ist?
Die Verfassung des Kantons Zürich verlangt etwa in Artikel 6, dass der „Kanton …. für die Erhaltung der Lebensgrundlagen“ sorgt und sich auf eine „nachhaltige Entwicklung verpflichtet„. In Art. 106 wird unter anderem „eine umweltschonende, … und sichere Energieversorgung“ gefordert. Ebenso sind „Anreize für die Nutzung einheimischer und erneuerbarer Energie und für den rationellen Energieverbrauch“ verlangt („Anreize“ bezieht sich dabei ausdrücklich nicht nur auf finanzielle Aspekte). Keiner dieser Verfassungsaufträge wird durch die aktuelle Energiepolitik abgedeckt – mit der Forderung an die Axpo, ein neues Atomkraftwerk zu bauen, stellt sich die Zürcher Regierung ausdrücklich gegen die Verfassung – und auch gegen die Interessen der Bevölkerung.
So hat etwa die Stadt Zürich entschieden, längerfristig (respektive so schnell als vertraglich möglich) aus der Atomenergie auszusteigen – immerhin macht die Stadt Zürich etwa einen Drittel der Bevölkerung des Kantons Zürich aus. Und Befragungen zeigen, dass die StromkonsumentInnen eindeutig Strom aus erneuerbaren Quellen bevorzugen! In einem Interview hat der zwar zuständige, aber alles andere als energiepolitisch kompetente Regierungsrat Markus Kägi behauptet, die etwa von der Stadt Zürich angestrebte 2000-Watt-Gesellschaft sei nur mit Verzicht möglich, und das wollten die ZürcherInnen gar nicht. Nur: weil der Strommix der StadtzürcherInnen einen Anteil von rund 3/4 erneuerbaren Energien hat, jener der EKZ-KundInnen einen Atomstromanteil von rund 3/4, liegt der Primärenergieverbrauch eines Stadtzürcher Haushaltes für den Strom rund 40 % unter jenem eines identischen Haushalts im EKZ-Gebiet! Es ist zwar so, dass LOVOS (Lifestyle of voluntary simplicity) den Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft deutlich vereinfacht – mit dem Festhalten respektive gar dem Ausbau der Atomenergie wird dieser zukunftsfähige Pfad geradezu verunmöglicht!
Exemplarisch wird die absurde Argumentationsweise des Zürcher Regierungsrates am Beispiel des Polit-PR-Begriffes „Stromlücke“. Dieser Begriff wird im Energieplanungsbericht 2010 zwar zur „Stromeigenversorgungslücke“ – damit wird zwar der Begriff „Stromlücke“ klar als das deklariert, was er im europäischen Stromnetz ist: null und nichts! Die „Eigenversorgungslücke“ soll durch ein neues AKW abgedeckt werden. Eigenversorgung? Wo hat denn die Schweiz respektive der Kanton Zürich eigenes Natururan, eigene Brennstabproduktionen, eigene Entsorgungseinrichtungen, eigene Endlagermöglichkeiten, eine eigene Nuklearanlagen-Industrie? Gar nirgends, wirklich nirgends. Der Regierungsrat und andere Pro-Nukis meinen dann jeweils, es brauche nur ganz wenig Uran, und das könne man gut transportieren und lagern (angesehen davon, dass all diese Vorgänge hochgradig demokratieunverträglich sind!). „Einheimisch“ ist also ein ausschliesslich politischer Begriff, und hat mit den tatsächlichen Verhältnissen nichts zu tun.
In der Schweiz herrscht vor allem bei SVP und FDP die Meinung, der Schweizer Stromverbrauch werde in erster Linie durch Strom aus (einheimischer) Wasserkraft ergänzt mit Atomstrom aus (einheimischen) Anlagen abgedeckt. Die Realität ist deutlich anders! Der Strommarkt ist unterdessen virtuell, getrennt von den physikalischen Stromnetzen! Die Axpo etwa verkauft die ökologische Wertigkeit der Wasserkraft ins Ausland und muss dafür auf dem Markt irgendwelche No-Name-Stromprodukte ohne ökologische Wertigkeit zusammenkaufen! Auch wenn es sich dabei um eine Studie handelt, welches von der Erdöl-Vereinigung in Auftrag gegeben wurde: in Realität ist der von den SchweizerInnen verbrauchte Strom sehr dreckig (mit Ausnahmen etwa in der Stadt Zürich, wo die StromkundInnen individuell über die Stromqualität befinden können).
Dramatisch dabei: der energiepolitische SVP-Regierungsrat-Rückzug auf das lächerliche Wörtchen „einheimisch“ schwächt voraussichtlich die Position der Axpo im europäischen Strommarkt. Denn: wer ein bisschen Augen und Ohren offenhält, stellt fest, dass im Strombereich derzeit selbst Nuklear-Unternehmen wie etwa „die grossen Vier“ in Deutschland im grossen Stil auf erneuerbare Energien setzen – Windkraft on- und offshore, auf dem Land, Photovoltaik dezentral und zentral, solarthermische Stromproduktion. Die Axpo weist zwar auch auf Tätigkeiten in diesen Bereichen hin, aber sowohl bezüglich Technologien als auch der eingesetzten Mittel sind dies offensichtlich reine PR-Aktivitäten ohne jede energiepolitische Relevanz! Der Zürcher Energieplanungsbericht bleibt in diesem Bereich ohne jegliche ambitiöse Vorgaben – dabei wäre es ohne grössere Probleme möglich, bis etwa 2030 eine ausschliesslich auf erneuerbare Energien aufbauende Stromversorgung zu realisieren! Wenn es allerdings mit den flauen energiepolitischen Vorgaben derart weitergeht, werden weder der Kanton Zürich, die EKZ oder die Axpo in diesem Markt relevante Player sein!
Was ist zu tun? Der Kantonsrat hat die energiepolitischen Grundsätze des Kantons Zürich zu genehmigen. Wenn er will, kann die Energiepolitik des Kantons Zürich endlich auf Zukunftsfähigkeit ausgerichtet werden. Auch wenn die entsprechenden Vorschläge auf umweltnetz.ch bereits mehrfach vorhanden sind, hier einige wenige Aspekte:
- Die Stromversorgung des Kantons Zürich ist bis 2030 ausschliesslich auf nachhaltig genutzte (Energie-)Quellen abzustützen. Insbesondere ist auf neue Atomkraftwerke zu verzichten, und die bestehenden sind raschmöglichst stillzulegen.
- Sämtliche Energien sind effizient zu nutzen – sowohl bei den Gebäuden, der Stromnutzung als auch im Verkehrsbereich bestehen erhebliche Effizienzpotenziale, die zu nutzen sind.
- Es braucht endlich ein Sanierungsobligatorium für Gebäude: Mindestens B, besser A!
- Um die Mobilität zu erhalten, ist der Verkehr zu vermindern: es braucht endlich eine Verkehrspolitik, die dem MIEF, dem motorisierten Individualverkehr, Schranken setzt. Denn: Weniger Strassenraum gleich weniger Strassenverkehr!
Der Kantonsrat hat es im Griff, die Verfassungsmässigkeit der kantonal-zürcherischen Energiepolitik wiederherzustellen!